Psalm 119, 9-16 – die Unverlorenheit
Tugend! Wir fordern Tugend!
Dieser Abschnitt des Psalms beginnt ja tugendhaft: Psalm 119,9
9Wodurch hält ein Jüngling seinen Pfad rein? Indem er sich bewahrt nach deinem Wort.
Und wir haben hier natürlich an die Reinheit in Bezug auf Sex und Drugs und Rock’n Roll gedacht.
Denn wir haben die Ordnungen Gottes als eine To-do-Liste für tägliches Verhalten interpretiert. Was man soll, und was man nicht darf.
Ja, ist blöd, wenn man in so niedrigem Denken verhaftet ist.
Denn das Wunderbare an den Ordnungen Gottes sind ja nicht die einzelnen Anweisungen.
Sondern das Wunderbare ist, dass es diese Ordnungen gibt.
Der Knaller
Der Knaller ist doch, dass Gott zuerst dem Abraham erschienen ist und ihm mitgeteilt hat, dass Gott Großes vorhabe. Dass Gott dieses Große mit Abraham vorhatte, ist dabei zweitrangig. Gott hätte sich auch jemand anderen in einer anderen Weltgegend aussuchen können.
Der Reißer an dieser Sache ist, dass Gott etwas vorhat.
Und 600 Jahre später erscheint Gott bei Mose und sagt ihm, dass es jetzt losgeht.
Und weil Gott Großes vorhat, darum gibt es diese Ordnungen. Das Gesetz des Mose.
Anders herum gesagt: Das Gesetz erinnert uns immer wieder daran, dass Gott einen Plan hat.
Dass da noch was kommt.
Dass das, was wir im Moment haben, noch nicht endgültig ist.
Unverlorenheit
Das Gesetz sagt uns also nicht in erster Linie, was wir in welcher Situation tun sollen, sondern es sagt uns, dass wir nicht verloren sind.
Denn Gott hat etwas vor. Mit uns. Mit denen, die das Gesetz lesen.
Das Gesetz sagt uns: Da kommt noch was. Da geht noch was. Wir sind an keinem Schlusspunkt angelangt, sondern mitten in einem Prozess. Nicht in einem zufälligen Prozess, sondern in einem gesteuerten Prozess.
Das Gesetz sagt uns: Es gibt einen Plan. Den kennen wir zwar größtenteils nicht, aber darum hat der Glauben so einen hohen Wert: Wir müssen vertrauen, dass der Plan etwas taugt.
Das Gesetz sagt insbesondere: Wir sind Teil dieses Planes. Darum wurde das Gesetz uns Menschen offenbart. Erstens, damit wir überhaupt von dem Plan Kenntnis bekommen, und zweitens, damit wir unseren Teil an diesem Plan erkennen und umsetzen können.
Damit sagt das Gesetz im Endeffekt, dass wir wichtig sind. In Gottes Augen wichtig.
Der Jüngling
Die Frage ist nun, in welcher Reihenfolge man diese Dinge lernt.
Der Psalm geht davon aus, dass der junge Mensch diese Zusammenhänge in ihrer nackten Theorie nicht verstehen kann. Nicht, weil der junge Mensch dumm ist, sondern weil der junge Mensch sehr viel praktischer denkt und der Welt viel zupackender begegnet. Aber wenn der junge Mensch die „Regeln“ einhält und sich im Laufe des Lebens immer wieder fragt, warum zum Kuckuck er so und nicht anders handeln soll, dann kommt er aufgrund von Erfahrung und Reflexion der Erfahrung zu den Einsichten, die ich in den letzten Absätzen beschrieben habe.
Denn letztlich soll der Jüngling seinen Weg nicht rein halten von der einen oder anderen Dummheit oder gelegentlichen Fehlgriffen.
Sondern der Weg des Lebens muss rein bleiben von bestimmten Haltungen. Die besonders Bibeltreuen würden jetzt sagen: rein vom Satan. Aber der Einfluss des Satans läuft meistens über Haltungen, nicht über einzelne Verfehlungen.
Die meisten von uns haben ihr Leben nicht durch ein paar schlimme Taten ruiniert, sondern durch eine jahrelang praktizierte Haltung zum Leben. (Weshalb die Bergpredigt so betont Wert legt auf Sorgen, Vergebung, Ärger, Großzügigkeit und Wahrhaftigkeit. Und weshalb die Frucht des Geistes ausschließlich aus Haltungen besteht.)
Zuversicht
Letztlich fordert das Gesetz Zuversicht. Und es liefert in seinen langen Texten auch die Gründe für so eine Zuversicht. Darum ist das Gesetz über weite Strecken nicht nur Gesetzestext, sondern Erzählung.
Wenn der Jüngling also seinen Weg bewahrt und der Erwachsene in Vers 14 sagt, dass er am Weg von Gottes Zeugnissen (nicht „Vorschriften!“) mehr Freude hat als an allem Reichtum, dann bleiben beide in einer zuversichtlichen Lebenshaltung und befolgen das, was im Neuen Testament dann unter dem Begriff der „Freude“ zusammengefasst wird.
Am Ende war das auch der Punkt, an dem Jesus und die Pharisäer sich zerstritten haben. Die einzelnen Bestimmungen des Gesetzes sind nicht unwichtig, aber das Wichtigste ist das Bild, dass die Gesamtheit des Alten Testamentes von der Welt und von Gott malt.
Und wenn Sie dieses Gemälde sehen können und danach leben können – dann bewegen Sie sich im Rahmen von Gottes Ordnungen.