Psalm 119,1-3 - Gegen die Anpassung
Als zeitgeistaffiner Mensch ist Ihnen ja sicher klar, dass Sie im Einklang mit der Natur leben müssen. Und im Einklang mit sich selbst. Also sozusagen mit ihrer inneren Stimme. Anders gesagt: In Harmonie mit der Schöpfung.
Dem dummen Autor von Psalm 119 hat das aber noch keiner gesagt.
Während Sie selbstverständlich wissen, dass Sie so leben müssen, dass Sie mit möglichst wenig Widerstand konfrontiert werden – schon gar nicht mit Widerstand von sich selbst! – meint der Schriftsteller hier doch tatsächlich, Sie sollten im Grunde genommen gegen Ihre Natur kämpfen.
Während Ihnen als gebildeten Menschen klar ist, dass Sie sich selbst verwirklichen müssen – dass Sie also das fördern und hegen und pflegen müssen, was in Ihnen von Natur aus vorhanden ist – da sagt der Autor von diesem Psalm in seinem verwirrten Geist: „Das nun gerade nicht!“
Und er bläst damit in das gleiche Horn wie viele Philosophen der alten Welt, die auf irgendeine Art den Menschen veredeln wollten. Die den Menschen nicht in Ruhe lassen wollten, sondern ihn verbessern wollten, also ihn im Grunde zur bestmöglichen Version seiner selbst verwandeln wollten.
Und genau das will der Schriftsteller hier auch: Die Menschen zur bestmöglichen Version eines Menschen machen: Ps 119,1
1 Glücklich sind, die im Weg untadelig sind, …
Allerdings hatten die verschiedenen alten Schulen der Philosophie unterschiedliche Maßstäbe, was nun die beste Art zu leben ist. Auch heute haben die Buddhisten und die Sikhs zwar das gleiche Ziel, nämlich ein möglichst gutes Leben in einem höheren Sinn zu leben, aber was nun eigentlich gut ist, darüber werden sie sich nicht einig.
Der Autor von diesem Psalm legt die Maßstäbe für gut oder weniger gut eindeutig fest: Ps 119,1-3
1 Glücklich sind, die im Weg untadelig sind, die im Gesetz des HERRN wandeln.
2 Glücklich sind, die seine Zeugnisse bewahren, die ihn von ganzem Herzen suchen.
3 Die auch kein Unrecht tun, die auf seinen Wegen wandeln!
Und nein: Sie hören bitte nicht auf Ihre innere Stimme und nicht auf Ihre Natur und nicht auf die Bedürfnisse, die in Ihrem Inneren entstehen. Dort entstehen nämlich, ganz natürlich, die Bedürfnisse nach Macht, nach Rache, nach Reichtum, nach Geltung, und danach, Ihren eigenen Kopf durchzusetzen.
In Ihrem Kopf regiert die Angst: Die Angst, zu kurz zu kommen; die Angst um Ihr Ansehen und vor Ablehnung; die Angst, der Sache und dem Leben nicht gewachsen zu sein; die Angst vor der Katastrophe, sei es Krankheit oder Krieg oder dass der Rewe Ihre Lieblings-Kartoffelchips nicht mehr führt.
Und die Angst wiederum führt zu all dem, von dem die Bergpredigt sagt: Das passt mit Gott nicht zusammen. Die Angst führt zu all dem, wo schon das Alte Testament drüber sagte: Das taugt zum Leben nichts. Das macht alles nur schlimmer.
Darum will der Autor hier nicht, dass Sie auf Ihre innere Stimme hören oder Ihre Individualität ausdrücken oder im Einklang mit Ihrem inneren Wesen leben.
Er will, dass Sie Gott ähnlich werden.
Wenn Sie Ihren eigenen Sehnsüchten folgen, ist das sicher der bequemste Weg.
Aber gut werden Sie nur, wenn Sie so werden wie der Gute.
Denn die Maßstäbe für „gut“ setzt nicht der jeweilige Zeitgeist. Die Maßstäbe für ein gutes Leben sind ewig. Es sind über Jahrtausende hinweg immer die gleichen Maßstäbe.
Und gesetzt werden sie von Gott. Und aufgeschrieben hat er sie in seinem Buch.