Psalm 17 – der unchristlichste Psalm von allen
Dieser Artikel erklärt Ihnen, warum der Psalm 17 absolut ideal ist und warum Sie ihn unbedingt öfters lesen sollten. Best psalm ever!
Als ich versucht habe, diesen Psalm zu verstehen, habe ich verschiedene Kommentare zu diesem Psalm gelesen. Und in mehreren von ihnen stand, dass heutige Christen diesen Psalm nicht mehr so beten können. Weil kein richtiges Verständnis der Sünde vorhanden ist.
So erklärt sich die Überschrift des Psalms. Sie ist ironisch gemeint.
Es beginnt mit dem Einleitungssatz, in dem zusammengefasst drinsteht, was der Autor eigentlich will.
1 Ein Gebet. Von David. Höre, HERR, die gerechte Sache, horche auf mein Schreien, nimm zu Ohren mein Gebet von Lippen ohne Trug!
Nun, da wird Gott doch wohl nicht „nein“ sagen können.
Es geht immerhin um eine gerechte Sache.
Es geht nicht um etwas zweifelhaftes.
Es geht nicht um etwas einseitiges, nicht um etwas subjektives.
Und: Die Bitte kommt von Lippen ohne Trug. Von jemandem, der nicht lügt. Der nicht die Tatsachen ein bisschen verdreht und schönt.
Und dieser untadelige Mensch will jetzt sein Recht. Und er will das nicht vom Amtsgericht und nicht vom Landgericht, sondern er will es sofort von der höchsten Instanz der Welt.
2 Von deinem Angesicht gehe mein Recht aus! Deine Augen mögen Aufrichtigkeit sehen.
Ja, was sollen Gottes Augen denn sonst sehen? Es gibt bei dem Schreiber ja nichts anderes zu sehen als Aufrichtigkeit. Was übrigens beweisbar ist:
3 Du hast mein Herz geprüft, hast mich des Nachts durchforscht; du hast mich geläutert — nichts findest du. Ich habe überlegt: nichts wird meinem Mund entschlüpfen.
Darum haben die Kommentatoren geschrieben, dass man diesen Psalm in neutestamentlicher Zeit nicht mehr beten kann. Denn dieser Mensch hat offensichtlich keine Sünde. Hätte er welche, würde Gott sie ja finden.
Damit könnte dieser Psalm höchstens von Jesus handeln. Das würde zwar funktionieren, scheint hier aber doch ein bisschen weit hergeholt.
4 Beim Treiben der Menschen habe ich mich nach dem Wort deiner Lippen gehütet vor den Wegen des Gewalttätigen.
5 Meine Schritte hielten sich in deinen Spuren, meine Tritte haben nicht gewankt.
6 Ich rufe dich an, denn du erhörst mich, Gott. Neige dein Ohr zu mir, höre meine Rede!
Natürlich muss Gott ihn erhören. Es geht um eine gerechte Sache, und der Mensch steht vor Gott ohne Schuld da. Wie sollte Gott da „nein“ sagen?
(Und dieser letzte Satz war nicht ironisch gemeint.)
Beziehungsmuster
Der Autor beschreibt seine Beziehung zu Gott so, als wenn er selbst völlig untadelig und die Beziehung absolut störungsfrei wäre.
Als wenn er keine Sünde hätte, Gott ihm also auch nichts vorzuwerfen hat. Es gibt für ihn keinen Grund, sich bei Gott zu entschuldigen oder um Vergebung zu bitten.
Kurz gesagt: Der Autor ist zufrieden mit Gott, und Gott ist zufrieden mit dem Autor.
Und da haben die Kommentatoren schon recht: Das kann man in einer neutestamentlichen Gemeinde nicht bringen.
In einer neutestamentlichen Gemeinde wiegt die Sünde schwer, und das persönliche Versagen ist unübersehbar. Der Mensch ist so schlecht, dass er furchtbar viel Gnade braucht und vor Gott wie ein Wurm darum bitten muss.
Das ist dann natürlich eine tolle Beziehung zu Gott. Man ist immer im Minus. Gott ist immer unzufrieden. Die Beziehung hat ein extremes Gefälle: Der perfekte Gott und der sich ständig wegen seines Versagens schämende Mensch. Wenn der Mensch mit Gott redet, sagt er ständig „trotz meiner Sünden“ oder „trotz meiner Schuld“.
Der Autor von diesem Psalm weiß: So geht das nicht. Das wäre doch eine furchtbare Beziehung. Das ist ja schlimmer als die Beziehung zu Tante Gertrud: Ständig hochgezogene Augenbrauen, andauernde Unzufriedenheit, und man ist froh, wenn man wieder wegkann.
Nein, der Autor ist überzeugt davon: Die einzig brauchbare Beziehung zwischen Gott und mir ist die, wenn Gott mit mir zufrieden ist und ich mit Gott zufrieden bin.
Und wohlgemerkt: Nicht, dass Gott so tut, als sei er zufrieden mit mir. Das ist dann eine Form von wohlwollender Heuchelei, und das kann man auch mit Tante Gertrud haben.
Die Sicht des NT
Wenn man genau liest, haben wir diese Sichtweise auch im Neuen Testament. Paulus schreibt mal, dass Gott die Gemeinde geliebt hat …
Eph 5,27
27 damit er die Gemeinde sich selbst verherrlicht darstellte, die nicht Flecken oder Runzel oder etwas dergleichen habe, sondern dass sie heilig und tadellos sei.
Damit ist Gott zufrieden mit der Gemeinde, denn sie steht fehlerlos da, und die Gemeinde ist zufrieden mit Gott, weil er sie verherrlicht hat.
Wenn Jesus gestorben und auferstanden ist und die Sünde ist – nun ja, sie ist schon irgendwie vergeben, aber ich fühle mich Gott gegenüber immer noch schuldig, und Gott zieht immer noch die Augenbrauen hoch, und es ist immer noch peinlich, und ich kann Gott eigentlich nicht offen in die Augen schauen und ich bin gegenüber Gott mich ständig am Entschuldigen – wozu ist Jesus dann eigentlich gestorben?
Und vor allem: Wie jämmerlich schwach war sein Sieg, wenn die Sünde immer noch mächtig ist in meinem Leben, weil sich mich beschämt macht und die Beziehung zwischen Gott und mir belastet?
Wenn Jesus der Erstgeborene unter Brüdern ist Röm 8,29
29 Denn die er vorher erkannt hat, die hat er auch vorherbestimmt, dem Bilde seines Sohnes gleichförmig zu sein, damit er der Erstgeborene sei unter vielen Brüdern.
… dann müssen für mich ja ähnliche genetische und verwandtschaftliche Statusmeldungen gelten wie für Jesus. Da müssen wir, was die Schuldhaftigkeit angeht, schon auf ein ähnliches Niveau kommen. Und es kann auch nicht sein, dass Gott mit seinem einen Kind, dem Erstgeborenen, total zufrieden ist, und mit den anderen Kindern ständig unzufrieden. Für einen Menschen mag das gehen, aber für einen Gott wäre das seltsam.
Wir heute
Seit Jesus brauchen wir nicht mehr so akribisch auf jedes kleine Fehlverhalten zu achten, wie es der Autor hier tut. Wir müssen nicht mehr die Mücke aus dem Tee sieben, damit nicht gegen ein Gebot verstoßen, und wir müssen nicht mehr die Pfefferminze verzehnten.
Vielleicht haben wir es aber viel schwieriger als der Mensch von damals. Denn wir müssen Vertrauen. Gott hat den Glauben in eine neue Höhe gehoben, und seit Jesus ist nicht mehr der Gehorsam und das Wohlverhalten der Weg, um sich Gott zum Freund zu machen, sondern der Glaube.
Ist nicht ganz neu, denn auch Abraham wurde letztlich wegen seines Glaubens gesegnet. Röm 4,3
3 Denn was sagt die Schrift? »Abraham aber glaubte Gott, und es wurde ihm zur Gerechtigkeit gerechnet.«
Da kann man sich also noch streiten, ob der Typ damals es einfacher hatte, weil er seine Gottesbeziehung über Gehorsam herstellte, oder ob wir es einfacher haben, die wir die Beziehung zu Gott über Glauben herstellen müssen.
Was er nun will
Nachdem die Beziehung zwischen Gott und dem Autor klar beschrieben ist und der Autor Gott klargemacht hat, dass Gott überhaupt nicht „nein“ sagen kann zur Bitte des Autors, kommt jetzt, was er will.
Der Witz ist, dass der Beter genau das bittet, was Gott am wichtigsten ist.
Er will von Gott das, was eigentlich Gott will.
Ich würde ja z.B. eine Milliarde Euro wollen oder eine wachsende Gemeinde oder Gesundheit von irgendeiner Krankheit oder einen Haufen netter Freunde oder keinen Krieg mehr.
Der Autor hier will dieses:
7 Erweise wunderbar deine Gnade, du Retter derer, die sich bergen vor den Empörern bei deiner Rechten.
Gegen die Empörer geht es. Es geht um Aufständische, und der Aufstand richtet sich gegen Gott. Es geht gegen die Leute, die Gott bekämpfen.
8 Bewahre mich wie den Augapfel, birg mich im Schatten deiner Flügel
9 vor den Gottlosen, die mich zerstören, meinen Todfeinden, die mich umzingeln.
Dass Gott seine Leute vor den Gottlosen beschützen will, dass ist die Grundlage des gelobten Landes. Dass Gottes Leute nicht mehr vom Pharao drangsaliert werden, aber im gelobten Land auch sicher ist vor all den anderen Mächten des Orient.
Der Beter bittet hier Gott also nur um das, was Gott laut Programm ohnehin will. Da wird es für Gott immer schwieriger, „nein“ zu sagen.
Noch eine kleine Beschreibung der zu bekämpfenden Leute:
10 Mit ihrem Fett verschließen sie sich, mit ihrem Mund reden sie aus Anmaßung.
Die hantieren also nicht mit einer Kalaschnikow und rauben nicht den Tresor des Autors aus. Die sind reich und arrogant. Und gottlos. Aber das hatten wir ja schon.
Die Veränderung von Singular und Plural
Jetzt verändert der Autor die Anzahlen. War der Gläubige bisher in der Einzahl, so kommt er jetzt in den Plural, und war der Gottlose bisher in der Mehrzahl, kommt er jetzt in den Singular.
11 Unsere Schritte — jetzt haben sie uns umringt; sie richten ihre Augen darauf, <uns> zu Boden zu strecken.
12 Er ist gleich einem Löwen, gierig nach Raub, und wie ein Junglöwe, der im Versteck sitzt.
Der Gläubige, der hier angegriffen wird, steht nämlich stellvertretend für alle Gläubigen. Der Teufel greift nicht nur mal ausnahmsweise diesen einen Gläubigen an, aber ansonsten ist das Gottlose für die Gläubigen völlig ungefährlich.
Und die Gottlosen handeln letztlich nicht auf eigene Rechnung. Hinter all den einzelnen Gottlosen, die alle ihr Scherflein zur allgemeinen Macht der Gottlosigkeit beitragen, steht eine einzige böse Kraft.
Den Teufel sieht man aber nicht. Denn wenn man ihn sehen könnte, wüsste ja jeder Bescheid. Sondern der Teufel arbeitet wie ein Junglöwe im Versteck. Der Kampf wird nicht offen geführt, sondern hintenrum. Heimtückisch.
Seltsame Strafe
Es gibt viele gefährliche Dinge auf der Welt: Erdbeben, Vulkanausbrüche, wilde Tiere, Autounfälle, Flugzeugabstürze, feindliche Armeen, Großfeuer und häusliche Unfälle. Aber nein, sagt der Autor: Das Gefährlichste ist der Gottlose! Die anderen gefährlichen Dinge nehmen uns das biologische Leben, aber der Gottlose nimmt uns Gott!
13 Steh auf, HERR, tritt ihm entgegen, wirf ihn nieder! Rette meine Seele vor dem Gottlosen durch dein Schwert,
14 vor den Leuten durch deine Hand, HERR, vor den Leuten, deren Teil im Leben von dieser Welt ist! Was du zugedacht hast — damit füllst du ihren Bauch, dass <noch ihre> Söhne davon satt werden und ihren Kindern den Rest hinterlassen.
Der Sinn scheint zu sein, dass Gott diesen Leuten ruhig die Millionen Dollar geben soll, denn diese Leute werden auch so viel Geld zum Gericht bekommen und nicht zum Segen. Sie werden letztlich keine Freude haben an dem Geld, und sie werden dieses Verhängnis auch an die nächsten Generationen weitergeben.
Was der Autor erwartet.
15 Ich aber, ich werde dein Angesicht schauen in Gerechtigkeit, werde gesättigt werden, wenn ich erwache, mit deinem Bild.
Kurz gesagt: Die Gottlosen haben das Geld, der Autor hat Gott. So ein Motto hat Jesus ja auch einmal rausgegeben: Mt 6,19-20
19 Sammelt euch nicht Schätze auf der Erde, wo Motte und Fraß zerstören und wo Diebe durchgraben und stehlen;
20 sammelt euch aber Schätze im Himmel, wo weder Motte noch Fraß zerstören und wo Diebe nicht durchgraben noch stehlen!
Zusammenfassung
Dieser Psalm beschreibt die ideale Beziehung zwischen Gott und Mensch, so wie Gott sie will.
Ein Grund, warum die Gläubigen in der Apostelgeschichte sich so gefreut haben, als sie das mit Jesu Tod und Auferstehung verstanden hatten, war, dass diese optimale Beziehung mit der Ausgießung des Heiligen Geistes möglich wurde.
Zu dieser Beziehung gehört, dass der Mensch zufrieden ist mit Gott und ihm voll und ganz vertraut – „Glaube“ ist der höchste Maßstab, den es bei Gott gibt.
Zu der Beziehung gehört auch, dass Gott mit dem Menschen zufrieden ist und ihm das Beste gibt, was Gott einem Menschen geben kann – nämlich sich selbst.
Demzufolge lesen wir in Psalm 17 auch das ideale Gebet, welches jemand dann betet, wenn seine Beziehung mit Gott wirklich zu 100% in Ordnung ist.
Und weil der Psalm die richtige Beziehung zu Gott so wunderbar wiedergibt, darum sollte man ihn vielleicht öfter mal lesen.