Psalm 25 – gegen die Peinlichkeit

Sehen Sie, es geht ja schon lustig los: Dieser Psalm ist ein alphabetischer Psalm.

Der Gedanke wäre auf deutsch: Der erste Vers beginnt mit dem Buchstaben A, der zweite Vers beginnt mit dem Buchstaben B, der dritte mit C, und der sechsundzwanzigste mit Z.

Diesen Psalm hat also nicht irgendwer mal schnell in der Mittagspause hingerotzt. Das ist auch kein Tagebucheintrag, abends nach einer halben Flasche Wein oder morgens vor dem ersten Kaffee auf alten Papyrus geschrieben.

Hier hat sich jemand Mühe gegeben, Literatur zu schreiben, die zu seiner Zeit als lesenswert und stylisch beurteilt wurde. Es handelt sich um den Versuch, auf die Spiegel-Bestsellerliste zu kommen.

Das sinnlose Schreiben

Der Psalm ist dadurch gekennzeichnet, dass der Autor immer wieder Gott anredet und Gott etwas mitteilt. Es ist aber natürlich völlig zweckfrei, diese Dinge aufzuschreiben. Gott kann nämlich hören. Klar, er kann vermutlich auch lesen (eine gewagte theologische Aussage!). Aber wenn der Autor Gott etwas sagen will, kann er es ihm sagen, und die Sache ist erledigt. Verschriftlichung ist in diesem Fall überflüssig. Dieser Text lehrt uns also mitnichten, was der Autor zu Gott gebetet hat, als es ihm schlecht ging.

Wir müssen vielmehr davon ausgehen, dass alle die Sätze, in denen der Autor Gott anspricht, gar nicht wegen Gott geschrieben wurden, sondern wegen Ihnen.

Um was es geht

Es gibt so ein paar Dinge, die sind jedem Menschen wichtig.

Dabei ist es egal, wo auf dieser Welt der Mensch lebt.

Das, um was es dem Psalm 25 geht, ist für jeden Menschen in jedem Gesellschaftssystem wichtig, und auch zu jeder Zeit der Weltgeschichte. Es geht um etwas, das jeder geistig gesunde Mensch für sich als nahezu lebensnotwendig betrachtet.

1 Von David. Zu dir, HERR, erhebe ich meine Seele.

2 Mein Gott, auf dich vertraue ich; lass mich nicht zuschanden werden, lass meine Feinde nicht über mich jauchzen!

Es geht in diesem Psalm darum, dass ein Mensch nicht verlieren mag.

Und zwar eher auf einer allgemeinen Ebene denn auf einer speziellen.

Es geht mehr um das Leben in seiner Gesamtheit denn um eine einzelne, vorübergehende Niederlage.

Es geht darum, dass ich als Mensch im Leben nicht untergehe.

Modern gesagt: Dass ich mein Leben nicht als Opfer führen muss.

Es geht nicht darum, dass ich der große Hero bin; es geht nicht darum, dass möglichst viele Leichen meinen Weg säumen. Es geht nicht darum, andere zu besiegen; sondern es geht darum, gleichberechtigt und ernst genommen im Leben zu stehen.

Oder, wie Paulus es einmal ausdrückte: Epheser 6,13

13Deshalb ergreift die ganze Waffenrüstung Gottes, damit ihr an dem bösen Tag widerstehen und, wenn ihr alles ausgerichtet habt, stehen bleiben könnt!

Die erste Gesetzmäßigkeit

Weil das so ungeheuer wichtig ist, dass der Mensch im Leben nicht das wehrlose Opfer ist, sondern so etwas wie Selbstbestimmung, Freiheit und Ehre hat, darum zieht der Autor hier alle Register.

Unter anderem erinnert er Gott und seine Leser immer wieder an Regelungen, an denen weder Gott noch die Leser vorbeikommen:

3 Auch werden alle, die auf dich harren, nicht beschämt werden; es werden beschämt werden, die treulos handeln ohne Ursache.

Psalm 25Das wäre auch eine schlechte Reklame für Gott, wenn diejenigen, die auf Gott hoffen, am Ende die Loser sind.

Wenn Gott wirklich der Größte und der Stärkste ist, dann wäre es völlig unlogisch, wenn seine Freunde Verlierer, Opfer und Unterdrückte wären.

Und wenn wir neutestamentlich denken, dann ist es völlig undenkbar, dass die Gläubigen dem Teufel unterliegen. Wenn der Teufel siegen würden, was wäre dann die Auferstehung Jesu noch wert? Selbst ein Unentschieden ist gegen den Teufel keine Option. Wenn es gegen den Teufel nur ein Unentschieden gäbe, könnte Gott seinen Laden zumachen.

Die Methode zum Gewinnen

Nun nennt der Autor die einzige Methode, um nicht Opfer zu werden, die er kennt:

4 Deine Wege, HERR, tue mir kund, deine Pfade lehre mich!

5 Leite mich in deiner Wahrheit und lehre mich, denn du bist der Gott meines Heils; auf dich harre ich den ganzen Tag.

Es gibt ja immer Leute, die glauben, sie könnten mit ihrer Klugheit und mit ihrer Raffinesse gegen das Böse gewinnen.

Das Böse ist aber eine übernatürliche Instanz. 4000 Jahre Menschheitsgeschichte haben uns ohnehin gelehrt, dass wir das Böse mit menschlichen Methoden nicht besiegen können.

Gegen eine übernatürliche Instanz helfen aber nur übernatürliche Methoden.

Und das ist, um was der Autor hier bittet: Dass Gott ihn die übernatürlichen Methoden lehre. Dass Gott dem Autor seine, also Gottes, Wege kundtue. Dass Gott dem Autor erklärt, wie Gott denkt und handelt.

Natürlich mit dem Hintergedanken, dass der Autor dann möglichst genauso denken und handeln will, denn nur so wird er nicht zuschanden. (Oder dass der Autor sich an Gottes Pläne und Vorhaben anpassen kann.)

Bedingung zum Gelingen

Damit Gott einem aber die göttlichen Wege erklären kann, braucht es eine gewisse Nähe zu Gott. Der Autor spricht hier nämlich keineswegs von dem, was in konservativen Gemeinden an dieser Stelle gerne verstanden wird: Dass der Mensch seine Bibel lesen soll, dann würde er den Willen Gottes ja schwarz auf weiß vor sich sehen.

Nein, es geht dem Autor nicht ums Bibellesen. Vom Gesetz des Mose ist hier nicht die Rede. Es geht dem Autor darum, dass Gott mit ihm redet.

Und dafür braucht es eine gewisse Nähe zwischen Gott und Mensch.

Diese ist aber nur herzustellen, wenn das, was zwischen Gott und dem Menschen steht, beseitigt wird. Also das, was man landläufig „Sünde“ nennt.

Sünde kann aber nur beseitigt werden, wenn Gott sich der Menschen erbarmt und ihnen gnädig ist. Der Mensch kann die Sünde nicht wegmachen.

Und weil dieses seit Urzeiten die einzige Möglichkeit ist, wie Menschen und Gott in Kontakt treten können, darum erinnert der Autor jetzt Gott daran, dass er hier keineswegs eine Ausnahme fordert oder eine neue Regelung erwartet:

6 Denke an deine Erbarmungen, HERR, und an deine Gnadenerweise; denn sie sind von Ewigkeit her.

7 An die Sünden meiner Jugend und meine Vergehen denke nicht; nach deiner Gnade gedenke du meiner, um deiner Güte willen, HERR!

Zum Bibellesen bräuchte man keine göttliche Gnade. Wer die Wege Gottes aus dem Bibeltext erkennen will, der kann das ohne Gnade und ohne Sündenvergebung tun.

Wenn da steht „liebe deinen Nächsten wie dich selbst“, dann kann das jeder Mensch ohne irgendeine Nähe zu Gott verstehen. Man braucht keinerlei Vergebung, um zu verstehen, dass die Nächstenliebe eine Anweisung von Jesus ist. Steht ja da. Kann man ja lesen.

Wenn da steht „sammelt euch nicht Schätze auf Erden, wo Motte und Fraß sie zerstören“, dann könnte das selbst der Teufel verstehen, wenn er es lesen würde. Man liest das, und man weiß dann, was man tun soll und was besser nicht. Man braucht für diese Art der Wegweisung keine Vergebung, keine Gnade und keinen Heiligen Geist. Der Text ist ohne Nähe zu Gott klar und verständlich.

Aber weil der Autor eben nicht die Bibel lesen will, sondern Anweisungen von Gott für sein aktuelles Leben hören will, darum braucht er Gottes Gnade und Gottes Vergebung.

Das Wesen Gottes als gesetzliche Grundlage

Im Folgenden wird der Gemeinde erklärt, auf welcher gesetzlichen Grundlage der Autor um Wegweisung bittet. Welches unabänderliche Gesetz macht es sinnvoll, die Bitte um Wegweisung und Vergebung auszusprechen?

8 Gütig und gerade ist der HERR; darum unterweist er die Sünder in dem Weg.

9 Er leitet die Sanftmütigen im Recht und lehrt die Sanftmütigen seinen Weg.

10 Alle Pfade des HERRN sind Gnade und Treue denen, die seinen Bund und seine Zeugnisse bewahren.

Weil Gott so ist und weil Gott diese Angewohnheiten hat, darum ist es sinnvoll, Gott um Wegweisung zu bitten.

Wobei die Bitte um Wegweisung scheinbar nur für die Sanftmütigen Sinn macht. Und für diejenigen, die Gott Bund einhalten und Gottes Zeugnisse, also auch den Bibeltext, bewahren. Man muss also schon wirklich wollen.

Der Namen Gottes als gesetzliche Grundlage

Um die Sicherheit und Zuversicht der Gläubigen zu erhöhen, wird jetzt eine weitere gesetzliche Grundlage genannt, damit die Gläubigen im Leben nicht untergehen:

11 Um deines Namens willen, HERR, vergib mir meine Schuld, denn sie ist groß.

Gott hat selber dem Mose seinen Namen genannt (Ex 34,6): „Gott, barmherzig und gnädig, langsam zum Zorn und reich an Gnade und Treue“. Wenn Gott dieses als seinen eigenen Namen erklärt, dann ist das eine zuverlässige Aussage. Dann ist kein Angebot, keine Möglichkeit, sondern das ist dann ein Gesetz, auf das man sich verlassen kann.

Folglich sagt der Autor: Weil dieses dein Name ist, dann ist das die Grundlage, auf der du mir meine Schuld vergeben sollst. Denn meine Schuld ist groß, also ich kann sie nicht von alleine beseitigen, und nicht so genau hinschauen funktioniert auch nicht.

Aber die Schuld muss weg, denn mit nicht vergebenen Sünden kann man Gottes Stimme nicht hören und seine Wegweisung nicht erkennen.

Weitere Grundregeln.

Es folgt nun eine weitere Grundregel für die Wegweisung durch Gott.

Der 25. PsalmDenn natürlich kann der Gottlose die Bibel lesen und den schwarz auf weiß vorhandenen Inhalt verstehen. Um den Bibeltext zu verstehen, braucht man keinerlei besondere Eigenschaften, weder charakterlich noch geistlich. Wie gesagt: Selbst der Teufel kann die Bibel lesen und verstehen und liest sie vermutlich auch.

Aber um von Gott eine Anweisung zu bekommen, wie man sich in einem schlimmen Streit verhalten soll oder was man in einer anderen Not machen soll oder wie man mit der Gemeinde in dieser speziellen Situation umgehen soll, da braucht der Mensch, der das hören und verstehen soll, eben doch bestimmte Eigenschaften:

12 Wer ist nun der Mann, der den HERRN fürchtet? Ihn wird er unterweisen in dem Weg, den er wählen soll.

13 Seine Seele wird im Guten wohnen, und seine Nachkommen werden das Land besitzen.

14 Der HERR zieht ins Vertrauen, die ihn fürchten, und sein Bund <dient dazu>, sie zu unterweisen.

15 Meine Augen sind stets auf den HERRN <gerichtet>; denn er, er wird meine Füße aus dem Netz lösen.

Notwendigkeit des Sieges aufgrund von Verlorenheit.

Wir sind schon fast am Ende des Alphabets angelangt. Es folgen jetzt noch die Lebensbereiche, in denen der Mensch die übernatürliche Wegweisung Gottes braucht. Diese Aufzählung hat den Sinn, dass der Leser erkennt, wie umfassend das Angebot Gottes ist, was die Anleitungen zum Leben angeht.

Und damit der Mensch nicht in die Gesetzlichkeit der Pharisäer verfällt, die sagen, es stände ja alles in der Bibel drin, da brauche man keine übernatürlichen Weisungen (und dann haben sie Jesus nicht erkannt!), darum ist in den folgenden Absatz auch die Vergebung der Sünden und die Gnade immer wieder eingebaut:

16 Wende dich zu mir und sei mir gnädig, denn einsam und elend bin ich.

17 Die Enge meines Herzens mache weit, und führe mich heraus aus meinen Bedrängnissen!

18 Sieh mein Elend an und meine Mühsal, und vergib alle meine Sünden!

19 Sieh meine Feinde an, wie viele sie sind, mit gewalttätigem Hass hassen sie mich.

20 Bewahre meine Seele und rette mich! Lass mich nicht zuschanden werden, denn ich berge mich bei dir.

21 Lauterkeit und Redlichkeit mögen mich behüten, denn ich harre auf dich.

Und damit sind wir mit dem Alphabet durch.

Hinter dem Alphabet

Das Dumme ist, dass jetzt noch ein Vers kommt. Er fängt mit „P“ an, ist hier also völlig falsch.

Dieser Vers ist auch keine spätere Einfügung, denn er ist in allen Handschriften an dieser Stelle vorhanden.

Der Vers handelt von Israel, von der Gemeinde. Allerdings war in dem ganzen Psalm bisher von Israel überhaupt nicht die Rede. Dieser letzte Vers ist völlig deplatziert, unpassend, außer der Reihe.

22 Erlöse Israel, Gott, aus allen seinen Nöten!

Nachdem der Autor die übernatürlich Wegweisung Gottes durchbuchstabiert hat, merkt er, dass das so nicht viel nützt.

Denn Gott hat nicht verschiedene Einzelpersonen aus Ägypten befreit, sondern ein Volk.

Jesus hat nicht verschiedene Einzelpersonen durch sein Blut erkauft, sondern eine Gemeinde.

Infolgedessen nützt die Wegweisung für den Einzelnen nicht viel, wenn die Gemeinde vor die Hunde geht.

Exemplarisch konnte man das bei Jeremia sehen. Der hatte mit Gott eine private Abmachung, aber als das ganze Land im Krieg unterging, hat ihm das nicht viel genützt. Sicher, dem Jeremia ist nichts passiert, aber wenn es an der Tankstelle kein Benzin mehr gibt und das Strom aus den Ladestationen nur tröpfchenweise tropft, dann geht auch der Gesegnete zu Fuß.

Bei Mose kann man es auch sehen: Weil die Gemeinde in ihrer Gesamtheit nicht funktionierte, darum saß auch Mose 40 Jahre in der Wüste fest. So ein gesegneter Mann, aber wenn die Gemeinde nicht ins gelobte Land kommt, dann bleibt er auch draußen.

Der Autor des Psalms hat erkannt, dass Gott primär immer der Gott einer Gruppe ist.

Gott wird auch nicht von einer Einzelperson repräsentiert, wie der Papst es vielleicht gerne hätte, sondern immer nur von einer Gruppe. Der neue Körper des Christus ist eine Gruppe, und Jesus hat eine Gruppe zu seinen Aposteln gemacht, und der Heilige Geist fiel an Pfingsten auf eine Gruppe.

Darum kommt nach dem Z noch ein weiterer Vers. Damit man merkt, dass die übernatürliche Wegweisung für den Einzelnen nicht viel nützt, wenn es keine übernatürliche Wegweisung für die Gemeinde gibt.

Nur wenn viele Gläubige direkte Wegweisung im Chaos des Lebens erhalten, dann funktioniert Gemeinde.

Nur wenn Viele übernatürliche Hilfe gegen das übernatürliche Böse erhalten, dann macht die ganze Sache überhaupt Sinn.