Psalm 38 – Gott ist Ihr Feind!
Dieser Artikel erklärt, warum Psalm 38 ganz bestimmt kein Bußpsalm ist, sondern eine berichtigte Darstellung von Gottes Beziehung zu den Gläubigen. Und wer die wahren Feinde der Gläubigen sind, das steht in diesem Psalm auch.
Es gibt ja Leute, die sagen, jedes Wort der Bibel sei inspiriert, und darum könne man auch jeden Vers und jeden Absatz der Bibel zitieren, denn die Bibel sei von vorne bis hinten göttliche Wahrheit.
Gut, kann man machen.
Wenn man sich blamieren will.
Ansonsten sollte man es mit den ersten neun Versen von Psalm 38 nicht machen, die sind nämlich vollkommener Mist.
Das hat der Autor des Psalms auch schon selber gemerkt, und genau darum hat er den Psalm geschrieben.
Der Autor wollte nämlich eine Geschichte mit einem Happy End schreiben. Aber eine Geschichte, die mit einem Happy End enden soll, muss natürlich sehr unglücklich anfangen. Eine Geschichte mit einem glücklichen Anfang und einem glücklichen Ende und nichts dazwischen macht wenig Sinn. Sie hätte weder eine Botschaft, noch würde irgendwer so etwas lesen wollen, denn das ist ja nun wirklich nicht spannend.
Die Geschichte daselbst
Der Autor wollte also eine Novelle schreiben, eine Kurzgeschichte.
Allerdings findet die Handlung dieser Novelle nicht in einer Stadt statt und auch nicht in einem Wald, sondern in ihm selbst.
In ihm selbst fängt es recht schrecklich an, und dann verändern sich nach und nach die handelnden Personen, also deren wahres Gesicht wird sichtbar, und am Ende weiß man dann, wer Freund und wer Feind ist, und das ist dann das Happy End.
Der Anfang
1Ein Psalm. Von David. Zum Gedächtnis.
Also dazu, dass man immer daran denkt. Zumindest jedesmal, wenn der Psalm verlesen wird.
Und das ist auch dringend nötig, dass man immer wieder daran denkt. Der Psalm ist heute noch genauso aktuell wie damals, als er geschrieben wurde.
Denn es ist noch nicht sehr lange her, da gab es in einer Gemeinde hier bei uns in der Stadt ein Leitungsteam, das aus mehreren Ehepaaren bestand. Wenn man eine Gemeinde ordentlich führt, dann gibt es auch immer mal wieder Ärger, denn einige Leute wollen gerne ihre Sünden behalten und einige gerne ihre private Theologie durchsetzen. So war es auch in dieser Gemeinde: Nicht alle waren zufrieden damit, wie es lief.
Dann starb einem der leitenden Ehepaare ein Kind. Woraufhin die Gegner öffentlich verkündeten, der Tod des Kindes sei die Strafe Gottes für das Verhalten dieses Ehepaares.
Man sieht also, das „zum Gedächtnis“ über diesem Psalm ist brandaktuell.
Der zeitgeistige Teil
Der Psalm beginnt mit einem Abschnitt, der sich eng an den Zeitgeist anlehnt.
Der Autor ist krank, sehr krank. Es handelt sich nicht um eine bestimmte Krankheit wie Masern oder Aussatz, sondern um die „Alles-Krankheit“. Es ist eine literarische Krankheit, die Krankheit aller Krankheiten. Dem Autor tut alles weh, und er leidet an jedem Körperteil, das sich finden lässt.
2HERR, strafe mich nicht in deinem Zorn, und züchtige mich nicht in deinem Grimm!
Alles klar, oder? Gott ist zornig und grimmig.
3Denn deine Pfeile sind in mich eingedrungen, und deine Hand hat sich auf mich herabgesenkt.
4Keine heile Stelle ist an meinem Fleisch wegen deiner Verwünschung, nichts Heiles an meinen Gebeinen wegen meiner Verfehlung.
5Denn meine Sünden wachsen mir über den Kopf, wie eine schwere Last sind sie zu schwer für mich.
6Es stinken, es eitern meine Wunden wegen meiner Torheit.
7Ich bin gekrümmt, sehr gebeugt; den ganzen Tag gehe ich trauernd einher.
8Denn voll Brand sind meine Lenden, und keine heile Stelle ist an meinem Fleisch.
9Ich bin ermattet und ganz zerschlagen, ich schreie aus dem Stöhnen meines Herzens.
Gott tritt hier nicht nur als der Feind des Menschen auf, sondern speziell als der Feind eines Gläubigen. Wenn Gott auf den Pharao dermaßen draufhaut, dann kann man dafür vielleicht noch Verständnis aufbringen. Aber das hier ist einer, der Gott liebt!
Da stimmt was nicht
Es merkt nun auch der Autor, dass seine dem Zeitgeist entsprechende Interpretation seiner Krankheit irgendwie nicht stimmen kann.
Gott kennt doch die Gedanken des Autors und seine Haltung gegenüber Gott!
10Herr, vor dir ist all mein Begehren, und mein Seufzen ist nicht vor dir verborgen.
Warum lässt Gott dann so eine brutale Strafaktion los?
Es ist ja keine Frage, dass der Autor gesündigt hat.
Sünde ist zwangsläufig. Sie ist für einen irdischen Menschen nicht vermeidbar. Darum gab es ja schon im Alten Testament die vielen Opfer, damit man aus der Chose wieder rauskam.
Aber der Autor hatte doch nichts getan, dass so einen enormen Zorn Gottes rechtfertigte!
Darum beschreibt der Autor nun, dass er die Orientierung verloren hat und die Hoffnung und den Mut:
11Mein Herz pocht, verlassen hat mich meine Kraft; und das Licht meiner Augen, auch das habe ich nicht mehr.
Die anderen
Nun war aber die allgemeine Meinung, dass jemand, dem es so schlecht geht, dass der von Gott bestraft wurde. Ein schweres Schicksal ist ein Zeichen von großer Sünde.
So argumentieren die ersten drei Freunde von Hiob, und so argumentierten die Apostel, als sie den Blindgeborenen in Jerusalem sahen. „Wer hat gesündigt, dieser oder seine Eltern, dass er blind geboren wurde?“
Folglich machen die Freunde und Verwandten des Autors jetzt das einzig Richtige: Sie nehmen Abstand von dem Autor.
Denn wenn Gott den Autor verwirft, dann ist es nicht gut, wenn wir uns mit ihm solidarisieren. Dann stellen wir uns ja gegen Gott.
Wenn Gott den Autor bestraft, wer sind dann wir, dass wir ihn segnen? Das wäre ja Auflehnung gegen Gottes Urteil!
12Meine Lieben und meine Gefährten stehen fernab von meiner Plage, und meine Verwandten stehen von ferne.
Die noch ganz anderen
Und dann gibt es noch die Feinde des Autors.
Die haben sich bis jetzt immer ein wenig zurückgehalten, denn der Autor gehörte ja zu Gott, und da war man schon vorsichtig, denn wenn Gott für den Autor eintritt, dann ist es vielleicht nicht wirklich klug, gegen den Autor zu handeln, weil man es dann mit Gott zu tun bekommt.
Aber jetzt ist Gott ja offenbar nicht mehr des Autors Freund, sondern des Autors Feind!
Der Autor ist offenbar ein Feind Gottes geworden, anders kann man sich dessen Unglück ja nicht erklären!
Gott segnet ihn nicht mehr, sondern bestraft ihn. Und somit wird Gott sicher nichts dagegen haben, wenn wir ein bisschen mithelfen und den Untergang des Autors beschleunigen.
Der Schutz durch Gott ist offenbar weg, und wenn Gott das Gericht über den Autor angesetzt hat, dann tun wir Gott ja geradezu einen Gefallen, wenn wir in Gottes Sinn handeln und uns an der Bestrafung des Autors beteiligen.
13Die nach meinem Leben trachten, legen Schlingen; und die mein Unglück suchen, reden von Verderben und sinnen auf Betrug den ganzen Tag.
Die Sprachlosigkeit
Kommen wir nun zur Sprachlosigkeit des Autors, die mit dem Verstopfen der Ohren einhergeht:
14Ich aber bin wie ein Tauber, höre nicht, und wie ein Stummer, der seinen Mund nicht aufmacht.
15Ja, ich bin wie ein Mann, der nicht hört, und in dessen Mund keine Entgegnungen sind.
Ja, was soll er auch sagen?
Wenn diejenigen, mit denen man argumentiert, von völlig falschen Voraussetzungen ausgehen, nämlich davon, dass das Opfer schwer gesündigt hat und darum das ganze Elend verdient hat, dann kann man sich jede Diskussion sparen.
Eine Diskussion mit Leuten, die von völlig falschen Voraussetzungen ausgehen, ist für die Katz.
Und es kommt ja noch dazu, dass der Autor noch nicht endgültig verstanden hat, was eigentlich gespielt wird. Man kann schlecht mitreden, wenn man die Spielregeln nicht verstanden hat.
Der logische Gedankengang
Aber Moment mal:
Wenn die Freunde und Verwandten sich vom Autor abgewandt haben und die Feinde ohnehin gegen ihn sind, und Gott sich nun auch gegen ihn wendet, dann wäre der Autor ja völlig allein auf der Welt!
Eigentlich müsste man sagen: Dann wäre er verloren.
So etwas könnte man beim Pharao noch akzeptieren, aber dieses ist ein Glaubender!
Dieser ist mit Israel aus der Gefangenschaft befreit worden!
Dieses ist einer, der schreibt einen Psalm!
Dass der jetzt von Gott und der Welt verlassen ist – ja, von der Welt vielleicht, aber doch nicht von Gott!
Dass der jetzt völlig verloren ist, das ist doch unvorstellbar!
Sünde hin oder Sünde her, das kann doch nicht sein!
Die Erkenntnis
Zu dieser Erkenntnis ist der Autor nun auch gekommen.
16Denn auf dich, HERR, harre ich; du, du wirst antworten, Herr, mein Gott.
Ja, wer sonst?
Irgendwer muss schließlich antworten. Es kann doch nicht sein, dass ein Bürger des Himmelreiches vollkommen verloren ist!
Und genau: So ist es auch nicht. Er ist nicht verloren, denn Gott ist überhaupt nicht sein Feind, ganz egal, was die anderen so reden.
Das ursächliche Problem
Kommen wir nun noch zum ursächlichen Problem, welches für die ganze Misere seit Vers 2 verantwortlich ist.
17Denn ich sprach: »Dass sie sich nicht über mich freuen, beim Wanken meines Fußes großtun gegen mich!«
18Denn ich bin nahe am Straucheln, und mein Schmerz steht mir ständig vor Augen.
19Denn ich bekenne meine Schuld; ich bin bekümmert wegen meiner Verfehlung.
Und das ist das Problem: er bekennt seine Schuld, und er ist bekümmert wegen seiner Verfehlung.
Der Erzfromme würde an dieser Stelle natürlich sagen:
„Recht so! Gott erniedrigt ihn, und dafür soll er dankbar sein! Demütigung ist des Christen Nahrung, und Schmach ist die Ehre des Gläubigen! Der Sünder soll sich tagein tagaus schämen, und man möge sich fortwährend der eigenen Schande bewusst sein! Ein Gläubiger ist dann gut, wenn er sich wie ein Wurm fühlt, und Beschämung ist der Weg zum Heil!“
„You get what you focus on“, sagt das Sprichwort, und wer sich ständig auf seine Fehler konzentriert, der wird irgendwann deprimiert und kraftlos.
„Last uns aufschauen auf Jesus“, hat der Hebräerbrief geschrieben, und nicht „lasst uns herunterschauen auf unser Versagen“.
Das Endergebnis
Wo der Autor jetzt nicht mehr auf seine Sünden schaut, sondern auf Gott, kann er nun auch sehen, wie Gott ihn wirklich sieht.
Die anderen sagten: Gott ist Dein Feind.
Aber er sieht jetzt, wer wirklich seine Feinde sind.
Und er weiß, dass er selbst ein Freund Gottes ist, und darum ist Gott auch sein Freund und nicht die Bohne sein Feind.
20Meine lebendigen Feinde sind stark, und zahlreich sind, die ohne Grund mich hassen;
21ja, sie vergelten Gutes mit Bösem, sie feinden mich an, weil ich dem Guten nachjage.
22Verlass mich nicht, HERR; mein Gott, sei nicht fern von mir!
23Eile zu meiner Hilfe, Herr, meine Rettung!
Das ist die Quintessenz des Psalms: Gott ist nicht mein Feind und wird es auch nie sein.
Es ist völlig undenkbar, dass Gott sich wie mein Feind verhält, und das ist in der Gebrauchsanweisung auch nicht vorgesehen.
Eine ernsthafte Krankheit ist eine ernsthafte Krankheit und hat in ihrer Entstehung mit Gott überhaupt nichts zu tun, und ein schweres Schicksal ist ein schweres Schicksal und ist weder Gericht Gottes noch Wille Gottes, es ist überhaupt nix „Gottes“. Es ist einfach nur, wie es ist.
Lesen Sie diesen Psalm also nächste Woche noch einmal. Zum Gedächtnis: Dass Gott niemals der Feind des Gläubigen ist.
Theologischer Nachschlag
Es gibt in der Bibel gelegentlich eine irdische Strafe Gottes für die Gläubigen. Kommt nicht besonders oft vor, aber gelegentlich schon: Ananias und Saphira; die Folgen unwürdig veranstaltenden Abendmahls; die Folgen von Sauls Bundesbruch gegenüber den Gibeonitern; Segen und Fluch in Deut 11,26.
Es gibt 100 Arten, wie man sich die Masern holt oder von einer Flutwelle weggespült wird. Eine von den 100 Arten ist, dass es eine Strafe Gottes ist.
Die anderen 99 Arten werden dadurch aber nicht außer Kraft gesetzt.
Somit ist es völlig falsch, rückwärts zu rechnen und zu sagen: Er hat die Masern oder er ist von der Flutwelle weggespült worden, weil er von Gott bestraft wurde. Nein, er ist weggespült worden, weil er zur falschen Zeit am falschen Ort war oder weil der Staudamm gebrochen ist. Er hat die Masern, weil er sich nicht hat impfen lassen oder weil er zu viele Kinder in seiner Umgebung hat.
Eine der Arten, warum einem etwas passiert, hat etwas mit Gott zu tun, die 99 anderen nicht.
Und dann noch Jesus …
Am Ende ist dieser Psalm ein im Voraus versandtes Hilfsmittel, um Jesus als den Erlöser zu erkennen. Denn auch Jesaja kannte das Problem Jesaja 53,4–5
4Jedoch unsere Leiden – er hat sie getragen, und unsere Schmerzen – er hat sie auf sich geladen. Wir aber, wir hielten ihn für bestraft, von Gott geschlagen und niedergebeugt.
5Doch er war durchbohrt um unserer Vergehen willen, zerschlagen um unserer Sünden willen. Die Strafe lag auf ihm zu unserm Frieden, und durch seine Striemen ist uns Heilung geworden.
Somit erklärt der Autor mit diesem Psalm letztlich die Situation Jesu am Kreuz. Oder die Situation derer, die die Kreuzigung gesehen und miterlebt haben. Die sich zuerst fragten, ob Jesus jetzt von Gott verflucht sei, und die dann zu der Erkenntnis kamen, dass das irgendwie nicht sein kann. Selbst wenn der Zeitgeist oder die damalige theologische Lehre das so behaupteten.
Denn durch die Kreuzigung Jesu wurde nicht Jesus verflucht, sondern wir gesegnet.
Und Gott war keineswegs der Feind von Jesus, sondern er war unser Freund.
Weil Gott niemals der Feind eines Gläubigen ist.
Falls ich das noch nicht gesagt hatte.