Psalm 57 – vom Sinn unsichtbarer Gebetserhörungen
Mal gleich vorweg: Dieser Psalm ist für Sie. Er wurde mit dem Wissen geschrieben, dass Sie ihn lesen werden. Darum steht am Anfang des Psalms: „Dem Chorleiter“.
Sie lesen hier also nicht heimlich in Davids Tagebuch und dürfen nun ergriffen sein von dessen privater Frömmigkeit. Oder so ähnlich. Nein, Sie lesen hier einen Text, der extra für den Gottesdienst geschrieben wurde. Da hat sich jemand überlegt: „Wie bringe ich dem Gottesdienstbesucher das bei, was bei Gott wichtig ist? Welche Worte wähle ich, welche Anordnung der Strophen, und wie lang soll das Ganze werden, damit der Gottesdienstbesucher nicht einschläft und der Chor nicht heiser wird?“
Ob der Psalm tatsächlich von David ist, ist dabei nebensächlich. Denn es muss nicht zwingend David sein, der Ihnen erklärt, warum David in dieser Höhle durchgehalten hat. Das kann Ihnen genauso gut jemand anders erklären. Die Erklärung wird nicht schlechter, nur weil sie von einer unbekannten Person stammt.
Das Recht
Von Anfang an geht David davon aus, dass er ein Recht darauf hat, dass Gott ihn irgendwie rettet. Er hat völlig selbstverständlich einen Anspruch auf die Zuwendung Gottes.
David fragt in Vers 2 nicht, ob er sich im Schatten von Gottes Flügeln bergen darf. Es ist für ihn völlig logisch, dass das so richtig ist und dass Gott für ihn da sein wird.
Es ist auch unzweifelhaft, dass Gott das, was Davids Auftrag ist, vollenden wird. Und dass David das Recht hat, sich an den Höchsten, jawohl! zu wenden, ist auch vollkommen logisch. Unsereins mag Probleme haben, dass der Bundeskanzler unsere Briefe liest oder dass der Papst uns empfängt, aber für David ist selbstverständlich, dass er das Recht auf Zugang nach ganz oben hat.
Also eines ist mal klar: Gott ist zuständig.
Der Mangel an Kalaschnikow
Auffällig ist nun, um was David in Vers 4 bittet und was er laut Vers 11 offenbar auch bekommen hat: Nämlich Gottes Gnade und Wahrheit.
Wenn ich selbst in einer Höhle säße und in der Gefahr wäre, jeden Tag umgebracht zu werden, würde ich mir vielleicht eine Kalaschnikow und viel Munition wünschen.
Oder eine Nebelwand, so dass Saul mich nicht findet.
Oder einen Attentäter, der meinen Feind beseitigt.
Nicht so David. Er bestellt sich Gottes Gnade und Wahrheit.
Das Schwierige an der Bestellung
Das Schwierige an dieser Bestellung ist, dass David eigentlich nichts anderes als Gott selber bestellt.
Denn Gottes Wahrheit ist die absolute Wahrheit. Nichts, was man interpretieren könnte. Es ist das, was hinter allem steht. Es ist die Offenbarung Gottes in Reinkultur. Vermutlich nicht sehr zu unterscheiden vom „Licht“.
Und die Gnade macht, dass Gott in einer Form kommt, welche die Menschen überleben können. Und mit der sie in ihrer aktuellen Situation etwas anfangen können.
Im Grunde bittet David also nicht um weniger Saul, sondern um mehr Gott.
In Vers 5 beschreibt David dann noch einmal die gefährliche Lage und die brenzliche Situation, in der er sich befindet.
Um dann aber sofort wieder auf die Bitte von Vers 4 zurückzukommen: Mehr Gott, überall, bis in die hinterste Ecke!
Die Lösung und ihre Folgen
In Vers 7 deutet sich die Lösung an: Nicht weniger Saul, auch nicht das Aufhören des Fallenstellens. Dafür fallen die Fallensteller in ihre eigenen Fallen hinein.
Kurz gesagt: Das Böse funktioniert nicht mehr. Was kein Wunder ist: Denn wenn soviel Gott da ist, dann wird die Funktion des Bösen gestört.
Mehr Lösung als die Dysfunktion der Fallen wird uns aber gar nicht erzählt. Denn ab Vers 8 beginnt sofort der Lobpreis, der darauf reagiert, dass Gott tatsächlich das Gebet des David erhört hat und seine Gnade und Wahrheit vom Himmel geschickt hat.
Dass Gott diese tatsächlich geschickt hat, erkennt man aus Vers 11, wo der Inhalt des Lobpreises eben daraus besteht, dass die Größe des Gesendeten beschrieben und angemerkt wird.
Was man allerdings nicht erfährt: Wie das war, als Gott seine Gnade und Wahrheit schickte.
Ob David irgend etwas „erlebt“ hat; ob er Gott so gesehen oder gehört hat wie Elia in der Felsspalte; oder ob David nur auf Gottes Erscheinen geschlossen hat, weil bei Saul alles danebenging – aber letzteres, also ein einfacher Rückschluss, passt nicht zu den großen und begeisterten Worten des Lobpreises. So spricht man nicht, wenn man nur etwas vermutet oder eben nur Rückschlüsse aus Vorgängen zieht.
Aber eigentlich ist es unwichtig, wieviel David nun erlebt hat. Denn die eigentliche Gebetserhörung ist eine ganz andere:
Der Zweck des ganzen Psalms
Das, was David sich gewünscht hat, haben wir mit Jesus: Die Fülle dessen, der alles in allen erfüllt (Epheser 1,23). Letztlich sind Jesus und der Heilige Geist die Gebetserhörung für das uralte Höhlengebet.
Heiliger Geist und Gemeinde zusammen sind das, was Gott auf Davids Gebet hin geschickt hat. Beide gemeinsam sorgen dafür, dass uns niemand aus Gottes Hand rauben kann; dass alles zu unserem Vorteil sein muss; dass dem Bösen die eigentliche Macht genommen ist.
Gottes Herrlichkeit könnte mittlerweile über die ganze Erde … zumindest überall da, wo Gemeinde ist. Schon Johannes hat vor Jahrtausenden über Jesus gesagt, dass die Herrlichkeit Jesu voll von dem ist, was David sich erbeten hatte: Joh 1,14
14 Und das Wort wurde Fleisch und wohnte unter uns, und wir haben seine Herrlichkeit angeschaut, eine Herrlichkeit als eines Eingeborenen vom Vater, voller Gnade und Wahrheit.
Immer und überall unbegrenzt Gott – diesem Wunsch von David sind wir schon sehr nahe.
Ob Sie das natürlich in Ihrem Leben umsetzen, ist eine andere Frage.
Denn man bekommt bekanntlich immer nur das, was man auch glaubt.
Obwohl – auch das lernen wir hier von David – als getaufter Christ haben Sie ein Recht darauf. Einfach deshalb, weil „immer und überall unbegrenzt Gott“ der Sinn von Kreuzigung und Auferstehung und dem ganzen Drumherum war.
Aber niemand kann einen zwingen, ein vorhandenen Recht auch einzufordern oder auszuüben.
Sie bekommen nur das, was Sie glauben und was Sie wollen.