Psalm 100 – Handeln oder Sein?
Dieser Psalm erklärt, dass es recht oberflächlich ist, ein Dankopfer zu bringen, weil Gott etwas getan hat. Weit besser ist es, ein Dankopfer zu bringen, weil Gott bestimmte, unveränderliche Eigenschaften hat.
Wie immer: beachten Sie bitte die Überschrift über diesem Psalm.
Sie verstehen sonst irgendwas, aber nicht das, was Gott mit diesem Psalm sagen wollte.
Die Überschrift über dem Psalm besagt, dass er zum Dankopfer gehört.
Das Dankopfer war ein freiwilliges Opfer in der Liste der israelitischen Opfer. Man konnte es bringen, man konnte es aber auch sein lassen.
Und obwohl es freiwillig war, war genau vorgeschrieben, was zu opfern war und wie die Opferung vonstatten gehen sollte und was mit den Resten des Opfers zu geschehen hatte.
Im Gesetz des Mose stand allerdings nicht drin, wofür man dankbar sein durfte, wenn man das Dankopfer brachte. Der genaue Grund für das Opfern eines Dankopfers war nicht formuliert.
Das führte dann dazu, dass die Gläubigen immer dann so ein Opfer in den Tempel brachten, wenn sie wirklich großen Grund zur Dankbarkeit gegenüber Gott meinten haben zu können:
- Wenn jemand sehr krank gewesen war und wieder gesund geworden war
- Wenn eine Kuh Drillinge zur Welt gebracht hatte
- Wenn die Ernte alle Vorstellungen übertroffen hatte
- Wenn ein Ehepaar nach langer Kinderlosigkeit doch noch ein Kind bekommen hatte.
- Wenn man ein ganzes Jahr nicht von Räubern heimgesucht worden war
- Wenn ein Soldat aus dem Krieg wieder gesund zurückgekehrt war
Und an dieser Stelle setzt nun der Psalm an und widerspricht.
Vers 1
Psalm 100,1
1 Jauchzt dem HERRN, alle Welt!
Das klingt natürlich ungeheuer fromm.
Nur steht das hier im Zusammenhang mit dem Dankopfer.
Meine Erbsen haben reichen Ertrag gebracht, und deshalb soll alle Welt dem Herrn jauchzen.
Das passt nicht.
Auch „alle Welt“ ist schon sehr hoch gegriffen.
Wenn man bedenkt, wie viele Gläubige es unter den Israeliten überhaupt gab; wie viele Israeliten also tatsächlich Gott als einen solchen anerkannt haben: dann wäre „ganz Israel“ schon eine Nummer zu groß.
Aber „alle Welt“ ist als Echo auf mein gutes Schicksal und die Erbsen schon arg übertrieben.
Aber die Übertreibungen gehen weiter. Hatten wir gerade schon die Aufforderung zum Jauchzen, kommt jetzt …
Psalm 100,2
2Dient dem HERRN mit Freuden! Kommt vor sein Angesicht mit Jubel!
Das klingt jetzt schon ein bisschen wie Argentinien und die Fußball Weltmeisterschaft.
Vor allem, weil viele gesetzestreue Juden den Dienst für Gott doch eher als beschwerlich auffassten und es nicht zu den zahlreichen Vorschriften des Gesetztes und später noch weniger zur Gesetzesauslegung passte, dass man Gott „mit Freuden“ diente. Darum hat Jesus gesagt, dass man sein Joch auf sich nehmen sollte, denn sein Joch sei sanft und seine Last leicht. Im Gegensatz zu den Forderungen des mosaischen Gesetzes, die man als mühsam und beschwerlich wahrnahm.
Und es wird auch nicht klar, warum die anderen Gott mit Freude dienen sollen und mit Jubel vor Gottes Angesicht erscheinen sollen, weil meine Erbsen soviel Ertrag abgeworfen haben.
Ja ja, geteilte Freude ist doppelte Freude, aber das hier ist nun doch ein wenig überdimensioniert.
Wer Gott ist
Es kommt nun ein Vers, in dem uns gesagt wird, wer wer ist. Und das ist das, um was es in diesem Psalm eigentlich geht.
Psalm 100,3
3Erkennt, dass der HERR Gott ist! Er hat uns gemacht und nicht wir selbst – sein Volk und die Herde seiner Weide.
Dass Gott Gott ist, ist natürlich erstmal eine seltsame Aussage. Oberflächlich gedacht könnte man sagen: Wir hätten nichts anderes erwartet.
Genauer betrachtet wird damit aber eine Absolutheit ausgedrückt, die einmalig ist.
Wenn Jesus seine Reden über das Sorgen hält und Petrus in seinen Briefen sich anschließt, dann geschieht das auf der Grundlage dieser Erkenntnis, dass Gott der Herr und der Bestimmer über alles und jedes und auch den Rest ist.
Natürlich kriegen die Superfrommen diesen Satz ebenfalls über die Lippen, dass Gott auch der Gott der Regenwürmer ist, aber wahrer Glaube zeigt sich erst, wenn diese Tatsache Einfluss auf mein Leben bekommt. Wenn ich mich also wirklich nicht mehr sorge, weil Gott eben der Herr ist über alles, was mir begegnet.
Damit wissen wir jetzt, wer Gott ist.
Wer wir sind
Dann wird noch gesagt, wer wir sind.
Wir sind nämlich das von Gott ausgewählte Volk und die Herde seiner Weide.
Der Satz bezieht sich nicht auf die Schöpfung. Es geht nicht darum, wer den Menschen erschaffen hat, sondern es geht um Berufung. Es geht um die Frage: Wer hat hier wen ausgewählt. Haben wir Gott gewählt und uns zum Volk dieses Gottes und nicht eines anderen erklärt, oder hat Gott uns zu sich berufen.
Die Stärke und die Wirksamkeit der Zugehörigkeit hängt davon ab, wer sie begründet hat.
Wenn wir einen Gott erwählt hätten, und der wäre gar nicht gefragt worden, dann wäre das eine sehr unzuverlässige Beziehung. Man könnte sich auf diesen Gott nicht verlassen, denn er wurde ja nie gefragt.
(Die Ägypter haben das ja mal gemacht, dass sie die alten Götter abgeschafft haben und den Sonnengott Re als Hauptgott installiert haben.)
Wenn aber Gott uns erwählt hat, und wir sind nicht gefragt worden, dann liegt die Entscheidung ganz und gar bei Gott, und wir können uns auf Gott verlassen, denn die Sache läuft ja eindeutig nach seinem Willen.
Die Verlässlichkeit Gottes hängt entscheidend davon ab, wer wen berufen hat.
(Darum betont auch Jesus in Johannes 15,16, dass er uns erwählt hat und nicht wir ihn.)
Und das bezieht sich nicht auf die Einzelperson. Denn die Einzelperson könnte schon sagen: „Ich habe mich nach langem Nachdenken für Gott entschieden.“ Es geht hier um die Gemeinde. Um die Gruppe der Gläubigen. Es ist halt wie immer: Der Segen, auch der ganz individuelle für den Einzelnen, hängt stets an der Gemeinde.
Wenn Gott die Gemeinde erwählt hat, dann hat jedes Gemeindeglied Teil an dem damit zusammenhängenden Segen.
Nochmal Argentinien
Es gibt Leute, die kommen zum Gottesdienst, weil das ihre Pflicht gegenüber Gott ist. Sie erfüllen Sonntag für Sonntag ihre Pflicht. Sie haben, wenn sie kommen, keine Gefühle und keine Erwartungen. Sie tun ihre Pflicht und erwarten, dass die anderen auch ihre Pflicht tun.
Es gibt Leute, die kommen zum Gottesdienst, weil das letztlich das Einzige ist, was sie mit Gott verbindet. Und da sie ja doch irgendwie zu Gott gehören wollen, kommen sie.
Es gibt Leute, die kommen zum Gottesdienst, weil sie zur Gemeinde dazugehören wollen. Die Gemeinde Gottes ist eine wichtige Konstante in ihrem Leben. Gottesdienst ist zuverlässig jeden Sonntag. Und es ist für jeden Menschen wichtig, irgendwo dazu zu gehören.
Es gibt Leute, die kommen zum Gottesdienst, weil sie ihre Mama nicht enttäuschen dürfen. Die Mama ist längst verstorben, aber die Verpflichtung gegenüber der Mama bleibt. Diese Leute erscheinen auch schon einmal ungekämmt oder in der Jogginghose.
Und dann gibt es diese Leute, die kommen zum Gottesdienst nach argentinischer Weltmeisterschaftsmanier: Psalm 100,4
4Zieht ein in seine Tore mit Dank, in seine Vorhöfe mit Lobgesang! Preist ihn, dankt seinem Namen!
Die Begründung: Eine Qualität
Es folgt nun zum Abschluss, warum die Leute anlässlich des Dankopfers den Tempel in der gleichen Stimmung betreten sollen wie die argentinischen Fußballfans nach dem Gewinn der Weltmeisterschaft.
Psalm 100,5
5Denn gut ist der HERR.
Und da ist jetzt der Fehler.
Die Leute kamen nämlich zum Dankopfer, weil Gott gut gehandelt hatte: Der Kranke war gesund, die Ernte war gelungen, das Ehepaar war schwanger, der Soldat war sicher aus dem Krieg zurück.
Und das, sagt der Psalm, ist ja nun doch recht oberflächlich.
Denn Gott handelt nicht gut, sondern er ist gut.
Wenn jemand gut handelt, dann kann der auch halbgut handeln oder viertelgut oder gar nicht gut. Damit würde Gott aber unzuverlässig: Man weiß vorher nicht, welche Qualität der Handlung Gott im aktuellen Fall wählen wird.
Wenn Gott gut handeln würde, dann wäre meine subjektive Meinung der Maßstab für Gottes Güte. Wenn Gottes Handeln mir gefällt, dann hat Gott gut gehandelt. Wenn es mir nicht gefällt, dann hat Gott schlecht gehandelt.
Es gibt für Gottes Güte aber nur einen Maßstab, und der ist Gott selbst. Menschen können Gottes Güte nicht beurteilen, denn es gibt keinen Vergleichswert. Man kann nicht sagen „Gottes Güte ist größer als irgendwas.“ Es gibt kein irgendwas, welches man als Vergleichswert benutzen könnte.
Der Psalm will sagen: Gott ist gut. Immer. Nur. Unveränderlich.
Das, was für Gottes Güte gilt, gilt auch für seine Gnade und seine Treue: Immer noch Vers 5
Seine Gnade ist ewig und seine Treue von Generation zu Generation.
Gott verhält sich nicht gnädig, sondern er ist gnädig. Das kann man nicht abstellen, das kann man auch nicht dimmen oder lauter oder leiser stellen. Gott ist konstant gnädig und niemals das Gegenteil davon.
Gott ist auch nicht mehr gnädig oder weniger gnädig. Es gibt bei Gott keine Nuancen von gnädig. Gott ist absolut gnädig, unaufhörlich.
Ebenso handelt Gott nicht treu, sondern er ist treu.
Jakobus erwähnt diesen Wesenszug Gottes mal in einem Nebensatz: Jak 1,17
17 Jede gute Gabe und jedes vollkommene Geschenk kommt von oben herab, von dem Vater der Lichter, bei dem keine Veränderung ist noch eines Wechsels Schatten.
Warum die Leute jubeln sollen
Die Gläubigen werden in diesem Psalm aufgefordert, mit argentinischem Weltmeisterschaftsjubel in den Tempel zu kommen.
Aber sie sollen ihr Dankopfer nicht bringen, weil Gott gut gehandelt hat. Denn dann hätten wir viel Licht und Schatten zusammen, denn Gott könnte nächste Woche anders handeln.
Sondern die Leute sollen das Dankopfer bringen, weil Gott gut ist. Eine Eigenschaft Gottes, welche sich niemals ändert.
Darum konnte Jesus immer wieder sagen: Dein Glaube hat Dir geholfen. Oder dir geschehe nach deinem Glauben.
Weil es eine unveränderliche Grundlage gibt. Und je nachdem, wieviel ich dieser Grundlage glaube und auf sie vertraue, um so mehr wird diese Grundlage sich in meinem Leben auswirken.
Wenn ich darauf vertrauen müsste, dass Gott gut handeln wird, dann ist das wie Roulette. Kann sein, kann nicht sein.
Wenn Gott aber gut ist, dann kann er das nicht ändern. Dann kann ich darauf vertrauen, dass das Gute kommen wird. Denn: Was sonst? Wo sollte etwas anderes herkommen? Gott ist der Gott über alles.
Zusammenfassung
Der Psalm richtet sich an Menschen, die Gott ein Dankopfer bringen wollen.
Natürlich kann man auch ein Dankopfer bringen, weil Gott gut gehandelt hat.
Aber der Psalm beschreibt, dass es viel vernünftiger ist und dass es Gott viel angemessener ist, wenn man ihm Dankopfer bringt, weil Gott gut ist.
Dankbarkeit nicht aus einem Anlass heraus.
Sondern aufgrund einer unveränderlichen, ewigen, nicht manipulierbaren Tatsache.
Und vielleicht wissen Sie jetzt auch, warum in dem Psalm so weltmeisterschaftlich gejubelt wird.