Psalm 35 - Das Recht auf ein glückliches Leben
Der Autor von Psalm 35 geht davon aus, dass er ein Recht auf ein glückliches Leben hat.
Er ist der festen Überzeugung, dass ihm ein Leben in Freiheit und mit viel Freude zusteht. Das ist für ihn ein Rechtsanspruch, den er mit diesem Psalm einfordert.
Wenn der Autor von Psalm 35 von „Gerechtigkeit“ spricht, meint er keine politische oder gesellschaftliche Gerechtigkeit. Die Bezahlung der Textilarbeiter in Bangladesch ist ihm egal, und die Unterdrückung irgendwelcher Minderheiten ist nicht sein Thema.
Er meint „Gerechtigkeit“ auch nicht im Sinne der Strafjustiz, dass jeder für das, was er tut, angemessen bestraft wird.
„Gerechtigkeit“ meint in diesem Psalm, dass der Autor ein glückliches Leben mit viel Freude in Freiheit leben darf. Wenn der Autor Gott auffordert, für die Gerechtigkeit des Autors zu sorgen, meint er damit nur dieses Recht auf ein sehr gutes Leben.
Das mag jetzt erstmal egoistisch klingen, aber damit, dass der Autor den Text veröffentlicht hat, hat er jedem Gläubigen die Erkenntnis zugänglich gemacht, dass dieses Recht jedem Gläubigen zusteht.
Von Rechts wegen. Freude ist einklagbar. Und dieser Psalm klagt sie ein.
Der Autor bittet Gott nicht um Gnade. Er erwartet von Gott, dass Gott seinen Vertrag einhält. Den Bund, den Gott eingegangen ist. Der Autor erwartet nicht, dass Gott gnädig oder barmherzig ist.
Darum kommen auch keine Aussagen vor wie dass Gott handeln soll wegen seiner großen Güte oder seiner umfassenden Barmherzigkeit. Es gibt keine andere Begründung als die, dass dem Autor ein gutes Leben von Rechts wegen zusteht.
Der Autor verlangt von Gott Gerechtigkeit. Wenn der Autor in Unterdrückung leben muss, ist das nicht traurig oder ärgerlich, sondern das ist ungerecht, es entspricht nicht der Gesetzeslage.
Wir sprechen hier auch nicht von einer moralischen Gerechtigkeit. Wenn die Kinder im Sudan hungern müssen, dann empfinden wir das irgendwie als ungerecht. Aber das ist ein moralisches Empfinden, kein juristisches. Es gibt kein Gesetz und keine Verordnung, die den Kindern im Sudan genügend Essen vorschreibt.
Aber es gibt ein Gesetz, das dem Gläubigen ein glückliches Leben garantiert. Es gibt einen einklagbaren Rechtsanspruch auf ein lebenswertes Leben, zumindest für Gläubige. Und diesen Rechtsanspruch klagt der Autor ein.
Entstehung des Rechtsanspruches
Der Rechtsanspruch auf Glück entstand mit der Befreiung aus Ägypten. Denn aus Ägypten wurden die Israeliten befreit, weil Gott ihr Unglück gesehen hatte. Damit ist klar, dass Unglück nicht im Sinne Gottes ist.
Der Rechtsanspruch wurde weiter ausgebaut mit dem Manna und mit der Führung Gottes durch die Wüste. Auch diese Maßnahmen waren dafür da, dass die Israeliten keinen Mangel litten und nicht in eine Gletscherspalte fielen und sich abends sorgenfrei an ihr Lagerfeuer setzen konnten.
Als der Psalm geschrieben wurde, begründete sich der Rechtsanspruch auf das Bewohnen des gelobten Landes. Das gelobte Land sollte der Gegenentwurf sein zu Ägypten, also zu einem Leben in Unterdrückung und Bedrohung. Das Sahnehäubchen obendrauf war, dass Gott mit den Israeliten in diesem Land lebte, so dass das glückliche Leben nicht von Zufällen abhing, sondern man hatte den Garanten des Glücks direkt vor Ort. Und der Gedanke war auch: Wenn es Unglück im Land gab, dann traf dieses Unglück immer auch Gott.
Letztlich basiert der Rechtsanspruch also auf den Bündnissen, die Gott mit den Israeliten eingegangen war. Es beginnt bei Gottes Bund mit Abraham, und zur Zeit des Psalms ist der weitgehendste und aktuellste Bund der Bund vom Sinai.
Besonderheiten in der Sprache
Weil es um einen Rechtsanspruch geht, darum werden keine Bitten an Gott gerichtet, sondern Aufforderungen. Es wird auch nicht an Gottes Güte oder Barmherzigkeit appelliert, denn es geht nicht um Optionen, die Gott frei wählen kann, sondern es geht um Recht. Wenn man ein Recht hat, braucht man nicht „bitte“ zu sagen. Ein Recht kann man fordern.
Wenn die Gegner des Autors angesprochen werden, so gehen die Absichten des Autors nur dahin, dass ihr unrechtmäßiges Handeln ein für allemal unterbunden wird. Dieser Psalm ist kein Rachepsalm, der das endgültige Gericht über die Feinde erbittet. Der Autor will nur sein Recht, und dazu muss dafür gesorgt werden, dass die Feinde am ungerechten Verhalten gehindert werden.
Die Bergpredigt als Fortschreibung
Dieses Verständnis des Rechts, welches dem Gläubigen zusteht, wird in der Bergpredigt erst einmal fortgeschrieben.
So bekommen diejenigen, die den Willen Gottes tun, also die Friedfertigen, Barmherzigen, Sanftmütigen und die Liebhaber der Gerechtigkeit, jene besonderen Eigenschaften zugesprochen, die zu einem glücklichen Leben gehören: sie werden Kinder Gottes sein, das Reich besitzen, mit Gerechtigkeit gesättigt, das Land erben.
Auch brauchen die Gläubigen sich keine Sorgen zu machen um Essen, Kleidung und die sonstige Grundversorgung. Die Bibel geht allerdings nicht davon aus, dass Goldbarren und Brillantringe zu einem glücklichen und gelungenen Leben gehören.
Mit Jesus hört das Recht auf ein glückliches Leben also nicht auf.
Ganz im Gegenteil sind von Jesus so Sprüche überliefert wie „ich bin gekommen, dass sie das Leben haben und es im Überfluss haben“ oder das mit den Strömen lebendigen Wassers.
Nach der Auferstehung
Da sich das Reich Gottes mit der Auferstehung Jesu in eine andere Dimension verschiebt, verschieben sich auch alle Umgebungsvariablen in andere Dimensionen.
Waren die Feinde der Gläubigen früher einfach irdische Menschen, so kommt jetzt der Teufel als völlig entfesselte Macht des Bösen hinzu. Der Teufel hat aber ganz andere Möglichkeiten als die Feinde von David. Seit der Auferstehung haben wir es mit einer viel größeren Dimension des Bösen zu tun als vorher.
War das höchste Glück, das der Mensch im Alten Bund haben konnte, letztlich Wohlstand, gutes Essen, viele Kinder, politischer Friede und das alles im Wissen um die Anwesenheit Gottes, so verschieben sich die Bestandteile des Glücks jetzt ebenfalls in eine andere Dimension. Dabei werden die Glücksbestandteile zwar auch größer und wertvoller, aber die Bequemlichkeit des irdischen Lebens geht ein bisschen verloren:
- So ist der politische oder gesellschaftliche Friede kein garantierter Bestandteil des christlichen Lebens mehr. Es werden sich jetzt Väter gegen Söhne und Cousins gegen Cousinen erheben, und damit muss man leben. Man kann das nicht verhindern. Das ist Teil der neuen Verhältnisse.
- So kann das neue Leben nur gewinnen, wer das irdische verliert. Und wer irgendetwas irdisches mehr liebt als Jesus, der befindet sich jetzt im falschen Film.
- So wird das Geld, das früher Teil des Segens war, jetzt zu einem Götzen. Weil es zwar zu irdischem Reichtum führt und weil es ein irdisches Machtmittel ist, aber die Methode, wie Macht ausgeübt wird und gegen wen Macht ausgeübt wird, hat sich verändert. Und das glückliche Leben konnte man sich früher für Geld kaufen – ein Haus, einen Weinberg, eine Putzfrau – in der Dimension, wo das Glück jetzt liegt, zählt unser Geld überhaupt nicht mehr.
Der Vorteil ist natürlich, dass man die Bestandteile von Freiheit, Glück und Zufriedenheit jetzt nicht mehr verlieren kann. Der Verlust war früher zwangsläufig: mit dem Tod war das glückliche Leben für immer verloren.
Jetzt genießen
Nun ist es natürlich unwahrscheinlich, dass die Lebensumstände durch Jesu Kommen schlechter werden sollten. Im alten Bund hatten wir Gesundheit, Wein, Erfolg und täglich was vom Grill, und seit Christus … müssen wir durch viele Trübsale ins Reich Gottes eingehen.
Von Jesus ist überliefert, dass er seinen Aposteln sagte, dass ihre Freude vollkommen sein werde und niemand ihre Freude von ihnen nehmen wird.
Und damit meinte er jetzt. Jesus sprach nicht von etwas, wovon wir jetzt noch nichts haben, irgendeine imaginäre Freude, die wir dermaleinst in irgendeiner Form, aber heute ist Elend.
Jesus sprach von der Freude und dem Leben im Überfluss, obwohl sich die Besitzverhältnisse auf dem Erdboden ja vollständig verändert haben:
Als der Psalm geschrieben wurde, war der Boden, auf dem man lebte, Reich Gottes. Da hatte man natürlich einen ganz anderen Stand als heute, wo die materielle Welt das Reich des Bösen ist. Die lebten damals auf guter Erde, wir leben heute auf böser Erde.
Also die äußeren Bedingungen für Freude und Glück sind eigentlich schlechter geworden. Trotzdem spricht Jesus vom guten, siegreichen Leben der Gläubigen.
Und weil das Glück über Immobilien und Weinberge nicht mehr läuft, darum gibt es im Neuen Bund die übernatürlichen Gaben. Mit dem Heiligen Geist bekommt der Einzelne mehr Portionen von Gott hier auf der Erde, und das hielt Gott offensichtlich für einen mehr als gleichwertigen Ersatz.
Letzte Erkenntnis
Nach wie vor hängt das Glück oder ein lebenswertes Leben von Gott ab. Das war schon in dem Psalm so, dass der Schreiber das alleine nicht hinbekommen hat, weil die Widerstände gegen Freiheit, Glück und Freude zu massiv sind.
Die Widerstände sind seit damals nicht weniger geworden, nur sind sie jetzt noch subtiler als früher und viel schwieriger zu erkennen.
Darum ist das glückliche Leben und die Abwesenheit aller Unterdrückung heute mehr denn je von Gott abhängig.
Aber der Psalmschreiber geht davon aus, dass Gott gerecht ist. Was in diesem Falle heißt, dass die göttlichen Rechtsvorgaben nach wie vor Gültigkeit haben und Gott mein Recht auf einen entsprechenden Lebensstil umsetzen wird.
Man müsste halt nur wissen, dass das gute Leben nicht eine Gnade ist, sondern ein Recht.
Und der Typ aus dem Psalm, der hat es gewusst.