Psalm 90 Versweise, also gründlich
Waren Sie auch beim 80. Geburtstag von Tante Gertrud?
Wo der Pfarrer diesen einen Vers aus Psalm 90 vorgelesen hat, den mit den 70 Jahren und den 80 Jahren?
Schon dumm, wenn einem nichts anderes einfällt als der Missbrauch des Wortes Gottes.
Denn selbstverständlich ist so etwas Missbrauch. Eigentlich will dieser Psalm erklären, warum es Zeit gibt und wie die Gläubigen mit den grundlegenden Eigenschaften von Zeit und Vergänglichkeit umgehen können. Dieser Psalm ist ein grandioses Werk über Sinn und Sinnlosigkeit des menschlichen Lebens. So etwas als Deko für einen Geburtstag zu benutzen, ist eine Erniedrigung von Gottes Wort.
Verse 1-4
Die ersten Verse beschreiben, dass es bei Gott keine Zeit gibt. Dass Gott völlig unabhängig von Zeit ist. Ist auch kein großes Wunder, denn die Zeit ist ein Teil der Schöpfung. Sie ist von Gott erschaffen worden.
1Ein Gebet von Mose, dem Mann Gottes. Herr, du bist unsere Wohnung gewesen von Generation zu Generation.
Weil es bei dir eben keine Zeit gibt. Darum kannst du über Jahrtausende das Gegenüber der Menschen sein. Andernfalls müssten wir uns alle 50 Jahre jemand Neuen suchen.
2Ehe die Berge geboren waren und du die Erde und die Welt erschaffen hattest, von Ewigkeit zu Ewigkeit bist du, Gott.
Jetzt kommt, dass es Gottes Entscheidung ist, dass der Mensch der Zeit und damit der Vergänglichkeit unterliegt:
3Du lässt den Menschen zum Staub zurückkehren und sprichst: Kehrt zurück, ihr Menschenkinder!
Und jetzt noch einmal, dass Zeit für Gott kein Maßstab ist und auf Gott auch nicht angewendet werden kann:
4Denn tausend Jahre sind in deinen Augen wie der gestrige Tag, wenn er vergangen ist, und wie eine Wache in der Nacht.
Wir hatten in diesen 4 Versen also: Gott unterliegt nicht der Zeit, Zeit hat mit Gott überhaupt nichts zu tun, außer dass er sie erfunden hat. Und dass der Mensch der Zeit unterliegt, war Gottes Entscheidung.
Der Zustand der Menschen
Die Verse 5 und 6 beschreiben dann den Zustand menschlichen Lebens im Angesicht der Zeit: kurz, vorübergehend, unbedeutend, kaum Erinnerung hinterlassend. Offenbar keine wichtige Sache.
5Du schwemmst sie hinweg, sie sind wie ein Schlaf, sie sind am Morgen wie Gras, das aufsprosst.
6Am Morgen blüht es und sprosst auf. Am Abend welkt es und verdorrt.
Ja, so ist das. Die Haltbarkeit der Menschen lässt sehr zu wünschen übrig.
Der Psalm ist nun aber nicht angetreten, um sich in Klagen über die allgemein bekannten Umstände des Daseins zu ergehen. Das ist kein Jammerpsalm, sondern ein Lösungspsalm.
Begründung: Der Zorn
Als nächstes erklärt der Psalm, warum eigentlich die Zeit eingeführt wurde, und warum darum alle Menschen der Vernichtung entgegen gehen.
Und zwar sagt der Psalm: Ursache für die Erfindung der Zeit war der Zorn Gottes.
Dabei ist jetzt gar nicht der Zorn bezüglich bestimmter einzelner Vergehen gemeint, sondern es geht um den allgemeinen Zorn Gottes gegen das Böse. Ganz egal, in welcher Form und in welcher Menge das Böse auftritt. Und da das Böse allgegenwärtig ist, trifft der Zorn Gottes erstmal alle Menschen. Alle Menschen sind erstmal in das Böse involviert. Dazu muss man nicht zur Kriminalität oder zur Gemeinheit neigen.
7Denn wir vergehen durch deinen Zorn, und durch deinen Grimm werden wir erschreckt.
8Du hast unsere Ungerechtigkeiten vor dich gestellt, unser verborgenes Tun vor das Licht deines Angesichts.
9Denn alle unsere Tage schwinden durch deinen Grimm. Wir bringen unsere Jahre zu wie einen Seufzer.
Die Zeit wurde eingeführt, damit das Böse keine Ewigkeit hat. Das Böse hängt in erster Linie an den Menschen, und darum dürfen die Menschen auch keine Ewigkeit haben. Also haben die Menschen jetzt Zeit anstelle von Ewigkeit.
Die Menschen haben zwar den Eindruck, als hätten sie keine Zeit, aber tatsächlich haben sie keine Ewigkeit. Zeit haben sie durchaus, und genau das ist das Problem.
Sinnloses Handeln
Die Existenz der Zeit und damit der Vergänglichkeit von allem führt dazu, dass eigentlich alles, was die Menschen machen, sinnlos ist, weil es vergeht.
Es gibt natürlich meistens einen gesellschaftlichen Sinn: Alle die von uns, die mal in einem Beruf gearbeitet haben, wurden dafür bezahlt, dass sie innerhalb des gesellschaftlichen Systems ein sinnvolles Rädchen waren.
Der irdische, gesellschaftliche Sinn ist hier aber nicht gemeint. Sondern hier geht es um eine zeitlose Betrachtung und somit darum, dass das, was wir heute machen, in 50 Jahren nicht nur nicht mehr zählt. Es wird dann völlig vergessen sein.
10Die Tage unserer Jahre sind siebzig Jahre, und, wenn in Kraft, achtzig Jahre, und ihr Stolz ist Mühe und Nichtigkeit, denn schnell eilt es vorüber, und wir fliegen dahin.
Man kann natürlich Pyramiden bauen und Denkmäler und so versuchen, für lange Jahre im Gedächtnis der Menschen zu bleiben. Aber wer außer mir erinnert sich noch an meine Großeltern, und wer wird sich in 50 Jahren an sie erinnern?
In 50 Jahren werden meine Großeltern sein, als hätten sie nie existiert. Und alles, was sie geleistet haben, wird vollkommen vergessen sein.
Die Frage nach dem Umfang
Wenn wir nun eine Lösung für das Problem der Sinnlosigkeit und der absoluten Vergänglichkeit suchen, müssen wir vorher bestimmen, wie groß genau das Problem ist. Damit wir wissen, wie groß die Lösung sein muss.
Denn ein kleines Problem braucht nur eine kleine Lösung mit wenig Aufwand, aber wenn das Problem riesig ist, dann muss die Lösung von entsprechendem Ausmaß sein und muss mit der passenden Menge Energie ausgestattet sein.
11Wer erkennt die Stärke deines Zorns und deines Grimms, wie es der Furcht vor dir entspricht?
Wie groß ist also die Stärke von Gottes Zorn?
Und zwar „wie es der Furcht vor dir entspricht“, also erwogen mit all dem, was wir über Gott wissen. Die Größe von Gottes Zorn muss man also messen an Gottes sonstigen Absichten.
Wenn Gott eigentlich ein Gott der Liebe und des Lichts ist, dann wiegt ein Zorn, der uns in die ewige Vergessenheit befördert, sehr schwer.
Wenn Gott aber ohnehin nur übellaunig und rachsüchtig wäre, dann wäre sein Zorn nicht viel wert, weil ohnehin nichts anderes zu erwarten wäre und dieser Zorn also göttliche Durchschnittsware wäre.
Wie also kriegen wir raus, wie groß Gottes Zorn ist und wie groß dann die Problemlösung sein muss?
12So lehre uns denn zählen unsere Tage, damit wir ein weises Herz erlangen!
Nun hat diesen Psalm nicht ein 15jähriger geschrieben, der denkt, er habe noch ewig Zeit.
Diesen Psalm hat ein Erwachsener geschrieben, und je älter man wird, umso mehr merkt man, wie wenige Tage man noch hat und wie kurz das Leben eigentlich ist.
Wobei wir heute im Durchschnitt ein doppelt so langes Leben haben wie die Menschen damals. Der, der diesen Psalms geschrieben hat, hatte das Problem noch gravierender als wir.
Und das weise Herz, das man hier kriegen soll, besteht daraus, dass man sieht, dass die Lösung für das Problem epochal gigantisch ultra super maximal sein muss.
Wenn Gott uns nur so wenig Zeit gibt, wie groß muss dann sein Zorn auf das Böse sein! Und wie groß muss dann die Lösung sein!
Das Ergebnis des Zählens
Jetzt hat der Autor also seine Tage gezählt, und sein Resümee ist:
13Kehre wieder, Herr! – Bis wann? Erbarme dich deiner Knechte!
Die Lage ist nicht nur furchtbar. Der Zorn Gottes ist offenbar so groß, dass überhaupt nicht zu sehen ist, wie dieses Problem mit der Vergänglichkeit jemals gelöst werden kann.
Wir haben schlicht keine Chance.
Der Beginn der Lösung.
Jetzt kommt die Lösung. Die Lösung kann natürlich nicht sein, dass man von Gott verlangt, er solle sich nicht so aufregen. Er möge einfach seinen Zorn verringern. Es soll ihn weniger interessieren, er soll sich weniger drum kümmern. Es wird davon ausgegangen, dass Gottes Zorn in seiner aktuellen Größe gerechtfertigt ist.
Wie sieht also die Lösung für das Problem mit der Sinnlosigkeit und der Vergänglichkeit aus?
14Sättige uns am Morgen mit deiner Gnade, so werden wir jubeln und uns freuen in allen unseren Tagen.
Wir brauchen das Gegenteil von Gottes berechtigtem Zorn, und das Gegenteil von berechtigtem Zorn ist unberechtigte Gnade.
Wenn der Zorn Gottes zur Sinnlosigkeit unseres Handelns führt und damit auch zu einer Art Verzweiflung oder Hoffnungslosigkeit, dann müsste das Gegenteil von Gottes Zorn logischerweise auch zum gegenteiligen Erleben führen.
Und wenn der Zorn Gottes alle Tage sinnlos und verzweifelt macht, dann müsste die Gnade alle Tage erfreulich und schön machen.
Das ist hier die Berechnung, aber die Berechnung geht noch weiter. Hier schreibt jemand, der ein ordentliches mathematisches Verständnis hat.
15Erfreue uns so viele Tage, wie du uns gebeugt hast, so viele Jahre, wie wir Übles gesehen haben!
Die Berechnung ist die: Wenn wir tausend Einheiten von Gottes allgemeinem Zorn erlebt haben, dann brauchen wir genauso viele Einheiten von Gottes Gnade, damit wir wenigstens wieder bei Null sind.
Wenn wir 1000 Einheiten von Gottes Zorn und damit von der Sinnlosigkeit des Lebens abbekommen haben, aber nur 990 Einheiten Gnade, dann stehen wir unter dem Zorn. Dann hat der Zorn gewonnen, dann bleibt die Vergänglichkeit und die Sinnlosigkeit und damit das, was die Bibel später als Verlorensein bezeichnet.
Der Zorn hat dann zwar nur noch die Größe 10 und nicht mehr die Größe 1000, aber die Menge ist bei Gottes Zorn nicht entscheidend. Entscheidend ist das Vorzeichen, das vor der Zahl steht: Minus oder Plus.
Wie der Schreiber hier genau gerechnet hat, dass er am Ende zu Plus kommt, weiß ich nicht. Vielleicht geht er davon aus, dass Gottes Gnade immer größer ist als Gottes Zorn und dass 1 kg Gnade mehr wiegt als 1 kg Zorn.
Die Aussage ist auf jeden Fall: Wir müssen vom Minus ins Plus kommen, wir müssen vom Zorn in die Gnade kommen.
Der Autor gibt jetzt noch verstecktes Kompliment von sich, indem er etwas philosophisch ausdrückt, was er von Gott zur Lösung des Problems erwartet:
16Lass an deinen Knechten sichtbar werden dein Tun und deine Majestät über ihren Söhnen.
Zu deutsch: Handele so, wie du wirklich bist. Zorn ist nicht deine grundlegende Eigenschaft. Handle an uns gemäß deiner besten, positiven und besonders wertvollen Eigenschaften. Der Autor packt Gott also sozusagen bei der Ehre.
Was er deshalb machen kann, weil er ziemlich viel von Gott verstanden hat.
Was dabei herauskommen soll
Zum Schluss des Psalms kommt nun, welches Ergebnis gewünscht wird. Da wir von der Vergänglichkeit und der Sinnlosigkeit und den damit verbundenen Gefühlen herkommen, darf man jetzt also das Gegenteil erwarten.
17Die Freundlichkeit des Herrn, unseres Gottes, sei über uns und festige über uns das Werk unserer Hände! Ja, das Werk unserer Hände, festige du es!
Durch den ganzen Verlauf dieses Psalms ist man jetzt nicht erstaunt, dass der Autor etwas wünscht, das der Mensch macht und das nicht vergeht.
Und der Autor ist schon soweit, dass er wünscht, dass das Werk unserer Hände über uns befestigt werden soll. Also weiter oben als da wo wir sind.
Wir müssen aus der Zeit raus.
Innerhalb der Zeit geht das nicht.
Dafür müssen wir aber das Böse los werden. Denn das Böse muss unbedingt innerhalb der Zeit bleiben, damit es keine Ewigkeit hat.
Das Böse ist ja durch Jesu Tod und Auferstehung aus dem Himmel rausgeflogen. Es hat keine Ewigkeit mehr.
Wenn wir es jetzt schaffen, unsere Werke in den Himmel zu bekommen, dann hätten wir das Problem mit der Sinnlosigkeit unseres Lebens und unseres Handelns vom Tisch.
Jesus hat darauf hingewiesen, dass man einen Schatz im Himmel haben kann. Das käme dem, was wir brauchen, ziemlich nahe.
Nur hat Jesus den Schatz nicht definiert. Nur dem reichen jungen Mann hat Jesus gesagt, auf welche Weise er zu diesem Schatz kommen kann, und selbst da ist nicht klar, wie oberflächlich man Jesus an dieser Stelle eigentlich verstehen darf.
Vielleicht hilft es, den Willen Gottes zu tun. Der Wille Gottes ist ja ewig, weil er aus der Ewigkeit entspringt. Wenn man also etwas ewiges tut, vielleicht bleibt dann auf der anderen Seite etwas.
Vielleicht bringt alles das etwas, was aus Liebe zu Gott getan oder auch nur gedacht wurde. Weil dann die Beziehung zu Gott da drin ist, und dann zählt es. Dann hinterlässt es Spuren auf der anderen Seite.
Auf jeden Fall ist das Problem des Psalmschreibers offenbar mittlerweile gelöst worden.
Gott hat die Bitte des Psalmschreibers erhört.
Man kann jetzt so leben, dass es unvergänglich ist.