Psalm 90 über den Sinn von Zeit

Waren Sie auch beim 80. Geburtstag von Tante Gertrud?

Wo der Pfarrer diesen einen Vers aus Psalm 90 vorgelesen hat, den mit den 70 Jahren und den 80 Jahren?

Schon dumm, wenn einem nichts anderes einfällt als der Missbrauch des Wortes Gottes.

Denn selbstverständlich ist so etwas Missbrauch. Eigentlich will dieser Psalm erklären, warum es Zeit gibt und wie die Gläubigen mit den grundlegenden Eigenschaften von Zeit und Vergänglichkeit umgehen können. Ein grandioses Werk über Sinn und Sinnlosigkeit des menschlichen Lebens. So etwas als Deko für einen Geburtstag zu benutzen, ist eine Erniedrigung von Gottes Wort.

Von vorne

Die Verse 1-4 beschreiben, dass es bei Gott keine Zeit gibt. Dass darum Gottes Verhältnis zur Zeit auch grundsätzlich anders ist als unseres, und Gott die Zeit auch anders versteht als wir.

Weil Gott aber zeitlos ist, darum – so der Vers 1 – konnte und kann Gott auch über Jahrtausende das Gegenüber der Menschen sein. (Ansonsten müssten wir uns alle 50 Jahre jemand Neues suchen.)

Die Verse 5 und 6 beschreiben dann den Zustand menschlichen Lebens im Angesicht der Zeit: kurz, vorübergehend, unbedeutend, kaum Erinnerung hinterlassend. Offenbar keine wichtige Sache.

Die Verse 7-11 erklären, dass die Ursache für das Existieren der Zeit und all ihrer Begleiterscheinungen der Zorn Gottes ist.Amsterdam

Dabei ist gar nicht an den speziellen Zorn Gottes wegen einzelner Vergehen weniger Menschen gedacht. Wir sind es gewöhnt, Zorn und Grimm immer auf einzelne Ereignisse zu beziehen, weil wir Menschen, die gewohnheitsmäßig zornig sind, nicht besonders mögen und auch nicht für lebensfähig oder brauchbar für diese Welt halten.

Der Zorn Gottes, um den es hier geht, ist der prinzipielle Zorn Gottes gegen das Böse. Ganz egal, in welcher Form und in welcher Menge es auftritt. Und da das Böse allgegenwärtig ist, trifft der Zorn Gottes erstmal alle Menschen. Dazu muss man nicht zur Kriminalität oder zur Gemeinheit neigen.

Die Zeit wurde eingeführt, damit das Böse keine Ewigkeit hat. Da das Böse mit Jesu Tod  aus den himmlischen Sphären rausgeflogen ist, befindet es sich jetzt nur noch im Bereich der materiellen Welt, auch wenn das Böse selbst nicht immer materiell im Sinne der Festkörperphysik ist. Gedanken kann man nicht festnageln, Haltungen sind nicht greifbar.

Damit erfährt das Böse eine enorme Begrenzung: Es kann nur solange existieren, wie Zeit existiert. Aber die Wahrheit ist natürlich auch: Genau so lange wird es folglich existieren. Wir werden das Böse hier auf der Erde nicht los, damit werden wir den Zorn Gottes nicht los, und damit werden wir die Vergänglichkeit nicht los und die Sinnlosigkeit des Lebens ebenfalls nicht.

Die Lösung

Wenn der Zorn Gottes zur Sinnlosigkeit unseres Handelns führt und damit auch zu einer Art Verzweiflung oder Hoffnungslosigkeit, dann müsste die Gnade Gottes logischerweise zum Gegenteil führen. Denn die Gnade ist das Gegenteil des berechtigten Zornes.

Es muss deshalb die Gnade Gottes sein, weil man von Gott nicht verlangen kann, er solle sich nicht so aufregen. Er möge einfach seinen Zorn verringern. Es soll ihn weniger interessieren, er soll sich weniger drum kümmern. Es wird davon ausgegangen, dass Gottes Zorn in seiner aktuellen Größe gerechtfertigt ist.

Darum bittet der Vers 14 um die Gnade, und darum bittet der Vers 17, dass Gott das Werk unserer Hände befestige. Es also der Vergänglichkeit entreiße. Dass unser Handeln ewige Eigenschaften bekommt.

Der Vorteil des neuen Bundes

Die ewigen Eigenschaften unseres Handeln kennen wir natürlich aus dem Neuen Bund: Dort gibt es einen Schatz im Himmel. Der ist zwar nicht wirklich ordentlich definiert, aber immerhin: Man erwirbt ihn auf der materiellen Erde, und der hat dann ewige Haltbarkeit.

Im Neuen Bund kennen wir die Aussage Jesu, dass wer einem Christen ein Glas Wasser gibt, weil dieser ein Christ ist, dass derjenige seinen Lohn nicht verlieren wird.

Es gibt noch ein paar mehr Beispiele dieser Art, aber was klar ist: Das Problem dieses Psalmschreibers wird erst durch Jesus gelöst. Damit ist dieser Psalm schon fast messianisch.

Dem Leben im besten Sinne einen ewigen Sinn zu geben, ist erst im Neuen Bund möglich. Wobei, wie oben schon angerissen, der Schatz im Himmel unzureichend definiert ist und das „befestigte Werk unserer Hände“ kaum vernünftig zu beschreiben ist.

Vermutlich wird man irgendwie sagen müssen, dass alles, was auf der durch Jesus geschaffenen Beziehung zu Gott basiert, solche ewigen Werte erschafft. Es geht nicht zwangsläufig gleich um vorzeigbare Resultate: Wieviele Menschen hast du bekehrt, wieviel Predigten hast du gehalten, wieviel Hungernde hast du gespeist?

Sondern alles, was aus Liebe zu Gott getan wurde, führt zu unvergänglichen Beträgen. Also auch Beten. Anbetung und Geld verschenken können zu dem gleichen himmlischen Wertzuwachs führen.

Die Möglichkeiten im Alten Bund

Psalm 90Der Mensch im Alten Bund war natürlich im Nachteil, weil es für die Menschen eigentlich keinen Zugang zur Ewigkeit gab. Der Himmel war ziemlich verschlossen, und man kam an Gott nicht näher ran als bis zur Tempelmauer oder bis zu dem berüchtigten Vorhang.

Dennoch konnte der Mensch im Alten Bund, der sich mit Gott oder dem Willen Gottes verband, in gewisser Hinsicht an den ewigen Dingen mitwirken:

  • Wer mithalf, dass Israel ein gutes Land wurde, arbeitete am Willen Gottes mit und schaffte also Dinge, die auf der anderen Seite zumindest als Wert erkannt wurden. Wer zudem damit rechnete, dass Israel in irgendeiner Form einen ewigen Wert oder eine ewige Zukunft hatte oder dass es eine höhere, himmlische Verwirklichung von Israel gab, der arbeitete ebenfalls in einem begrenzten Sinn an dauerhaft haltbaren Dingen mit.
  • Somit war Gehorsam gegenüber den gegebenen Geboten durchaus ein sinnvolles Handeln. Die Gebote waren göttlich, damit waren sie qualitativ ewig. Sie kamen aus der göttlichen Sphäre, somit konnte man ewiglich handeln, selbst wenn das Ergebnis erstmal sehr irdisch aussah.
  • Damit hatten auch Beten und Opfern und alle Dinge, die der Beziehungspflege zu Gott dienten, den Geruch der Unvergänglichkeit, denn man sprach und interagierte mit dem Unvergänglichen. Sicher war nicht erkennbar, welchen eindeutigen ewigen Wert man damit produzierte, aber es war letztlich das Beste, was man tun konnte.

Zusammenfassung

Das Problem, das den Autor veranlasste, diesen Psalm zu verfassen, ist mittlerweile gelöst. Der Sinnlosigkeit des menschlichen Handelns, ja sogar des menschlichen Lebens, kann man himmlische Werte entgegensetzen, also Ergebnisse, deren Min­dest­halt­barkeitsdatum unendlich ist.

Dadurch, dass der Teufel aus dem himmlischen Bereich rausgeflogen ist, kann der Mensch dort hinein, ohne dass böse Anteile den Himmel betreten.

Wo es kein Böses mehr gibt, ist die Existenz von Zeit und damit die Begrenzung von Leben nicht mehr nötig.

Nach wie vor werden wir hier auf der Erde kaum Dauerhaftes schaffen, was aber ohnehin sinnlos wäre, da diese Erde von Gott für die Vernichtung vorgesehen ist.

Aber ansonsten ist die Bitte des Psalmisten erhört worden.

Somit können auch Sie, trotz des Voranschreitens der Zeit, heute sinnvoll leben.