Psalm 32 das Ende des Büßens
Seit 38 Jahren sammele ich Notizen zu Bibelstellen.
Und nach 38 Jahren hatte ich über den Psalm 32 noch keine einzige Notiz.
Keinen Zeitungsbeitrag, nichts aus einem Andachtsbuch, keine Andacht, keine Predigt, keinen Mitschrieb, überhaupt nichts.
Das ist auch kein Wunder.
In der Lutherbibel hat dieser Psalm nämlich die Überschrift „der zweite Bußpsalm“, weil die evangelische Kirche ihn dazu ausersehen hat, einer von 7 Bußpsalmen zu sein.
Und wenn man entsprechende Artikel in Andachtsbüchern und frommen Kommentaren dazu liest, dann sind diese Artikel entsprechend. Sie passen wunderbar zur evangelischen Überschrift.
Nun war ich meine ganze Jugend über der Schlechte, der Unfähige, der Böse, der Versager.
Ich habe meine ganze Kindheit und Jugend über büßen müssen für Dinge, für die ich meistens nichts konnte.
Ich habe dafür büßen müssen, dass meine Mutter ungewollt mit mir schwanger geworden ist.
Ich habe dafür büßen müssen, dass mein Vater psychosomatisch krank war.
Ich musste dafür büßen, dass angeblich nicht genug Geld da war.
Ich musste dafür büßen, dass ich in der Schule nicht mitkam.
Die Liste kann man ziemlich lang machen.
Und dann kommt Gott und beglückt mich mit einem Bußpsalm.
Dieser Bußpsalm war mir jahrzehntelang so willkommen wie ein Krebstumor.
Und darum hatte ich keine Aufzeichnungen über diesen Psalm.
Ich hatte mich geweigert, den Mist, den die Andachtsbücher darüber schreiben, in meine Ordner oder in meinen Computer hineinzulassen.
Ich habe in meinem Leben genug büßen müssen für irgendwelchen Dreck, da brauche ich keinen Gott, der mich dann auch noch büßen lässt für meine Sünden.
Die Wortklauber
Jetzt kommen natürlich die ganz klugen Christen und sagen: Das Wort, das da im Griechischen steht, heißt ja „metanoia“, Sinnesänderung, also Umkehr. Das heißt ja gar nicht, dass man für etwas zahlen muss.
Ja ja, Ihr superklugen Christen!
Wenn wir auf Deutsch sagen „das wirst du mir büßen!“, dann meinen wir, dafür wirst du bezahlen. Wir meinen dann nicht: „Oh, kehre um, und alles ist gut!“
Wenn ich ein Bußgeld zahlen muss, dann muss ich zahlen. Da nützt es nichts, wenn ich dem Ordnungsamt versichere, ich sei jetzt umgekehrt und werde nie wieder falsch parken.
Und es ist ja auch keineswegs so, dass Buße in den evangelischen und katholischen Schriften als eine befreiende Umkehr verstanden wird. Sondern es wird schon so verstanden, dass man zu Kreuze kriechen muss. Dass man beichten muss und sich schämen muss vor Gott und den Menschen.
Die mit griechischer Sprachkenntnis argumentieren können mir also vom Acker bleiben, noch dazu, wo dieser Psalm auf hebräisch geschrieben ist.
„Buße“ wird in der heutigen deutschen Sprache als eine Bestrafung für ein Vergehen verstanden, und diese Strafe kann im privaten Bereich vielfältig sein – Tante Gertrud hat viele Möglichkeiten, mich büßen zu lassen für irgendwas, was ihr nicht gefallen hat – und im staatlichen Bereich besteht die Buße in der Regel aus Geld.
Oder aus einer Gefängnisstrafe. Die muss man dann verbüßen.
Und das Büßergewand trägt man nicht, um zu dokumentieren, dass man umgekehrt ist und gewisse Dinge nie wieder zu tun beabsichtigt. Sondern man trägt es, um für die eigene Schuld zu bezahlen und man hofft, dass Gott einem dann wieder gnädig ist, wenn man lange genug in Sack und Asche gegangen ist.
Ich werde nicht bezahlen
Da ich in meinem Leben also genug bezahlt habe für irgendwelches Zeug, an dem angeblich ich schuld war, darum werde ich mir nicht von Gott auch noch eine Rechnung schreiben lassen.
Und darum habe ich den von der Kirche dazu erkorenen Bußpsalm 38 Jahre lang konsequent ignoriert.
Und überhaupt: Hat nicht Jesus für meine Sünden bezahlt? Warum soll ich noch büßen für etwas, das angeblich längst aus der Welt ist?
Der Psalm als solcher
1Von David. Ein Maskil.
Da geht es schon los.
Der Psalm ist überhaupt keine moralische Anweisung.
Es handelt sich nicht um eine Benimmregel gegen Sünde und nicht um den Hinweis, dass man selber Schuld ist an seinem Elend.
Ein Maskil ist ein Lehrgedicht.
Eine Sacherklärung.
Eine sachliche Beschreibung von Zusammenhängen, damit die Menschen klüger wieder weggehen, als wie sie gekommen sind.
Sie lesen: Die Sendung mit der Maus.
Nur dass es hier nicht darum geht, wie ein Atomkraftwerk funktioniert oder wie die Cola in die Flaschen kommt, sondern darum, wie der Mensch glücklich leben kann.
Glücklich, wem Übertretung vergeben, wem Sünde zugedeckt ist!
2Glücklich der Mensch, dem der Herr die Schuld nicht zurechnet und in dessen Geist kein Trug ist!
Guck mal an! Nicht „glücklich wer büßt für seine Schuld“, sondern glücklich, wer eben nicht büßen muss, weil die Sünde zugedeckt ist und die Schuld nicht zugerechnet wird.
„Nicht zurechnen“ ist ein Begriff aus der Buchhaltung. Es geht um die Frage, auf welches Konto die Schuld gebucht wird. Und hier steht ganz klar: Auf mein Konto nicht.
Das, sagt hier die Sendung mit der Maus, ist die Grundlage für das Glück.
Und darum geht es in dieser Sachinformation: Über die Grundlage für ein glückliches Leben.
Sünde definieren
Jetzt müssen wir, um sachlich argumentieren zu können, Sünde und Schuld erstmal definieren.
In aller Regel ist eine Sünde etwas, das ich irgendwann einmal getan habe, weil ich es für gut hielt.
Manchmal nicht richtig für gut, aber für angemessen. Passend für die aktuelle Situation.
Als David sich die Bathseba geholt hat, hielt er das in diesem Moment für angemessen. Über die moralische Qualität dieser Einladung hat er nicht nachgedacht. Der Ehemann war im Krieg, die Frau war da, nun denn.
Das ist ja das Problem, dass man in solchen spontanen Momenten keine großartigen moralischen Bewertungen anstellt.
Wenn ich zu Tante Gertrud „dumme Kuh“ sage, weil sie mal wieder irgendwelche altjüngferlichen Vorhaltungen an mich hinredet und vor Zorn ihren Kaffee über mich kippt, dann erscheint mir das in dem Moment passend.
Wenn ich dann später darüber nachdenke, komme ich vielleicht zu einem anderen Ergebnis. Aber das ist eben das Problem, dass man hinterher immer klüger ist.
Wenn man David in dem Moment, wo er auf dem Dach stand und die Bathseba sah, gefragt hätte, ob er ihren Mann umbringen will, hätte er selbstverständlich mit ehrlicher Überzeugung „nein“ gesagt.
Dass es am Ende doch so gekommen ist, liegt am Wesen des Bösen und der Sünde. Die ganze Sache hatte sich verselbständigt. Jeder einzelne Schritt hat in dem Moment, wo David ihn getan hat, passend ausgesehen, um das Problem aus der Welt zu schaffen. Erst als Nathan dann David den ganzen Vorgang in seiner Gesamtheit, zu der er sich entwickelt hatte, vor Augen führte, da hat David die Sünde an der Sache erkannt.
Und so hat man es eben eilig und fährt noch schnell bei orange um die Ecke und überfährt den Radfahrer, den man in der Eile nicht gesehen hat. Vielleicht war der auch gerade in dieser Zehntelsekunde in irgendeinem toten Winkel, und hätte man langsamer gemacht, dann hätte man ihn da wieder rauskommen sehen.
Hinterher kann man das so sehen. Aber als man schnell um die Ecke fuhrt, erschien einem das für die Situation passend.
Wenn dieser Psalm auf die Sünde schaut, dann schaut er nicht auf moralische Dreckschweine und vorsätzlichen Massenmord aus Spaß am Morden.
Sondern wir schauen auf Dinge, die wir gemacht haben mit dem Eindruck, dass das jetzt richtig oder zumindest passend ist und wo wir vielleicht sogar der Meinung waren, es gäbe gar keine andere Möglichkeit. Und erst später, beim Nachdenken, mit Abstand, da fällt uns dann ein, dass es vielleicht doch noch andere Möglichkeiten des Verhaltens gegeben hätte.
Wie es nicht sein soll
Die nächsten beiden Verse des Psalms beschreiben, wie es nicht sein soll. Das, was jetzt beschrieben wird, ist nicht der Wille Gottes.
3Als ich schwieg, zerfielen meine Gebeine durch mein Schreien den ganzen Tag.
4Denn Tag und Nacht lastete auf mir deine Hand; verwandelt wurde mein Saft in Sommergluten.
Die Verfechter des Büßens jubilieren an dieser Stelle natürlich. „Tag und Nach lastete auf mir deine Hand“, ja, jetzt lässt Gott dich spüren, was du getan hast! Jetzt bezahlst du für deine Schlechtigkeit!
Ist Quatsch. Denn was hier beschrieben wird, ist was logischerweise passiert, wenn ich nicht mit Gott über den umgefahrenen Radfahrer rede.
Wenn ich schuldig geworden bin, und das dann mit meiner Seele oder mit dem Psychologen ausmachen will. Aber dann eben trotzdem nachts schlecht schlafe, weil ich nicht mit Überzeugung sagen kann: „Ich danke dir, Gott, dass du mir das mit dem Radfahrer vergeben hast und dass du bei allem, was jetzt kommt, auf meiner Seite bist.“ Und auf der Seite des Radfahrers auch, denn der konnte ja auch nichts dafür.
Dass ich büße für etwas, das ich getan habe oder das mir widerfahren ist, ist überhaupt nicht im Sinne Gottes.
Der Sinn dieses Psalms ist, dass die ständige Büßerei endlich aufhört.
Dieser Psalm ist kein Bußpsalm, sondern er ist ein Antibußpsalm.
5Ich tat dir kund meine Sünde und deckte meine Schuld nicht zu. Ich sagte: Ich will dem Herrn meine Übertretungen bekennen; und du, du hast vergeben die Schuld meiner Sünde.
In dem Moment, wo ich mit Gott darüber rede, ist die Sache vergeben.
Gott wird mir keine Rechnung mehr schreiben wegen dem Radfahrer oder wegen Bathseba.
Dass ich mich vielleicht noch vor dem Amtsgericht verantworten muss und dem Radfahrer ein neues Fahrrad bezahlen muss, ist eine andere Sache. Aber seit Jesus kann Gott sogar solche Dinge zu meinem Vorteil umgestalten.
Das Böse ist nicht nur besänftigt oder vorübergehend ruhiggestellt, sondern es ist restlos besiegt. Das Böse kann auch das Amtsgericht nicht mehr gegen mich verwenden.
Und dass ich mit Gott über die Sache rede, ist kein Büßen. Das tut ja nicht weh. Das ist ja keine Belastung, sondern eine Befreiung.
Die Sendung mit der Maus
Und jetzt kommt – wir befinden uns ja in einem Lehrgedicht – die Lehraussage, die aus den beschriebenen Ereignissen zu ziehen ist.
6Deshalb soll jeder Getreue zu dir beten, zur Zeit, da du zu finden bist; gewiss, bei großer Wasserflut – ihn werden sie nicht erreichen.
„Darum soll jeder Getreue zu dir beten“ – weil die Büßerei ein Ende haben soll. Weil den dem Moment, wo ich mit Gott über das rede, was schiefgegangen ist, die Sache nicht mehr auf mein Konto gebucht wird.
Und wenn Gott sie nicht mehr auf mein Konto bucht, brauche ich sie auch nicht mehr auf mein Konto buchen.
Wenn Gott diesen Posten nicht mehr auf mein Konto bucht, dann kann ich der Zukunft hoffnungsvoll und positiv entgegen sehen. Ich habe Segen zu erwarten und nicht Buße.
Ich muss nicht büßen, sondern ich muss gesegnet sein.
Und ob der Radfahrer mir dann vergibt, das ist zweitrangig. Wenn der Radfahrer eine kräftige Opfermentalität hat, dann wird er mich für den Rest seines Lebens hassen und mich verantwortlich machen für jede Krankheit, die ihn in den nächsten 30 Jahren trifft.
Aber der Radfahrer ist nicht der Maßstab, sondern Gott ist der Maßstab. Und wenn Gott mir vergibt, dann gibt es nichts mehr zu büßen.
7 Du bist ein Bergungsort für mich; vor Bedrängnis behütest du mich; du umgibst mich mit Rettungsjubel.
Rettungsjubel ist das absolute Gegenteil von büßen.
Gott spricht
Jetzt spricht Gott und erklärt, warum ich im Vers 4 das Gefühl hatte, dass Gottes Hand schwer auf mir lastet.
8 Ich will dich unterweisen und dich lehren den Weg, den du gehen sollst; ich will dir raten, mein Auge ist über dir.
Darum hat vorhin Gottes Hand so hart auf mir gelegen. Damit ich endlich mit Gott über die Sache rede und die Büßerei aufhört.
Damit ich endlich den Weg einschlage, der zum Glück führt.
Denn solange wie ich nicht schlafen kann wegen der Sache, da büße ich.
Solange wie ich Magenschmerzen habe oder Herzrasen oder keine Luft kriege wegen der Sache, da büße ich. Da bezahle ich für das, was vorgefallen ist.
Aber ich bezahle nicht dem Radfahrer. Der hat ja nichts davon, dass es mir schlecht geht.
Diese und jede andere Form des Büßens ist völlig sinnlos, denn Gott kann ja auch nichts damit anfangen, dass es mir schlecht geht.
Gott freut sich ja nicht, wenn ich traurig bin.
Klar, es gibt Leute, die haben so ein Bild von Gott. Denen sollte man den Computer und die Schreibmaschine wegnehmen, damit sie so einen Unfug nicht mehr verbreiten können über einen Gott, der befriedigt mit dem Kopf nickt, wenn mir elend ist.
Nochmal das mit der Maus
Jetzt kommt also die Schlussanwendung. Sie weist zuerst einmal darauf hin, dass man freiwillig und sofort mit Gott über die Dinge reden soll und nicht warten soll, bis man endlos gelitten hat.
9Seid nicht wie ein Ross, wie ein Maultier, ohne Verstand; mit Zaum und Zügel ist seine Kraft zu bändigen, sonst nahen sie dir nicht.
10Viele Schmerzen hat der Gottlose; wer aber auf den Herrn vertraut, den umgibt er mit Gnade.
Dass ich Gott vertraue, zeige ich am besten dadurch, dass ich mich mit den schwierigen Dingen an ihn wende.
Und wenn ich das tue, dann muss ich nicht Buße tun oder büßen, sondern ich werde ohne weitere Gegenleistung in Gnade eingehüllt.
Die einzig richtige Haltung
Infolgedessen steht die einzig richtige Haltung, die man Gott gegenüber einnehmen kann, als abschließende Zusammenfassung in Vers 11:
11Freut euch an dem Herrn und jauchzt, ihr Gerechten, und jubelt, alle ihr von Herzen Aufrichtigen!
Und nicht: Tut Buße für eure Sünden.
Dieser Psalm ist kein Bußpsalm, sondern ein Antibußpsalm.
Eine einzige kirchliche Quelle habe ich gefunden, die den wahren Charakter dieses Psalms erkannt hat, und das ist die Wuppertaler Studienbibel, die in der Regel von evangelischen Pastoren verfasst wurde, und in ihr steht zu Psalm 32: „Dieser Psalm ist kein Bußpsalm, als der er in der kirchlichen Tradition Verwendung findet.“
Und somit kann ich den Psalm ja ab jetzt immer mal wieder lesen und sogar Notizen über ihn aufheben, denn jetzt weiß ich, dass die ewige Büßerei eine Erfindung der Leute ist, die die Gläubigen gerne klein und niedrig halten wollen.
Und auf solche Leute brauche ich ab heute nicht mehr zu hören.