Jesaja 30,18 Gottes Gnade ist juristisch ein Recht

Ab Jesaja 28 geht um die politische und militärische Bedrohung Israels durch die Assyrer unter König Hiskia. In Jesaja 36 wird dann der Endpunkt der Geschichte erzählt, nämlich die Belagerung Jerusalems durch die Assyrer.

Davor lagen aber lange Verhandlungen mit Ägypten. Man versprach sich Hilfe von den Ägyptern, wenn man ihnen nur genug Geld und Gold und Rechte gab.

Diese Verhandlungen mit den Ägyptern hatte man vor dem Propheten Jesaja geheimgehalten, und man ging davon aus, dass wenn der Prophet es nicht erfährt, erfährt Gott es auch nicht.

Gott hatte dann aber seine Meinung gesagt, dass er es sehr seltsam findet, dass man als Gottes Volk sich bei den Ägyptern Hilfe holt und nicht bei Gott. Dass man also den Ägyptern mehr vertraut als Gott.

Gottes Meinung hatte jedoch niemanden interessiert, und so hatte Gott angekündigt, dass er dieses Volk, diese Gesellschaft nach Strich und Faden auseinandernehmen wird, so dass am Ende nur ein ganz kleiner, kläglicher Rest übrig bleiben wird.

Und an dieser Stelle sind wir jetzt. Es werden nur noch weniger Gläubige übrig sein, und alle anderen werden von den Assyrern oder den Babyloniern, oder vielleicht machen sie es auch selbst, jeder gegen jeden.

Jetzt ist also nur noch ein ganz kläglicher Rest übrig. Und darum, weil jetzt nur noch wenige Gläubige übrig sind ...

Jesaja 30,18

18Und darum wird der HERR darauf warten, euch gnädig zu sein, und darum wird er sich erheben, sich über euch zu erbarmen. Denn ein Gott des Rechts ist der HERR. Glücklich alle, die auf ihn harren!

Hier scheitern viele Gläubige, weil Gnade und Erbarmen Gottes mit einem Recht begründet wird.

Aber nicht nur normale Gläubige scheitern, sondern auch Theologen und Bibelausleger. Denn Gnade und Recht sind doch der Logik nach absolute Gegensätze und widersprechen sich.

Aber es kommt hier auf die zeitliche Reihenfolge an.

Die Reihenfolge von Recht und Gnade

Das erste Angebot, das Gott machte, was das an Abraham. Da Gott sich vorher nie so richtig auf der Erde hatte blicken lassen, gab es zwischen Gott und Abraham natürlich überhaupt kein Rechtsverhältnis.

Das erste Angebot an Abraham geschah also aus reiner Gnade, und zwar aus Erbarmen mit der ganzen Menschheit, denn die Ankündigungen für Abraham sollten ja letztlich Auswirkungen auf alle Menschen zu allen Zeiten haben.

Die Bibelstelle müsste also eigentlich lauten: „So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er Abraham zu einem Bund eingeladen hat.“

Somit kann man durchaus sagen, dass die Gnade zuerst da war.

Und sie ist immer noch da, denn es gibt ja immer mal wieder Angebote Gottes, die aus dem Nichts kommen und auf die es keinen Rechtsanspruch gibt. Aber das meiste, was wir von Gott erhalten, beruht auf uralten Rechten.

Hier in Jesaja stand Israel kurz vor der Vernichtung. Vor der Auflösung ins Nichts.

Israel hat natürlich aufgrund seines Verhaltens kein Recht darauf, dass Gott in irgendeiner Weise gut zu diesen Leuten ist. Aus deren Lebensstil entsteht kein Recht, und aufgrund ihres schlechten Verhältnisses zu Gott muss Gott gar nichts machen und ist denen gegenüber zu nichts verpflichtet.

Aus dem Verhalten der Israeliten entsteht also kein Recht, und aus ihrer Haltung Gott gegenüber entsteht auch kein Recht. Gott könnte die Israeliten also fallen lassen.

Aber aus Gottes Wesen heraus entsteht ein Recht. Weil alles, was Gott sagt, automatisch zur Wahrheit wird und, soweit es eine Ankündigung oder ein Versprechen war, automatisch zu einem Recht wird.

Gott spricht, und es wird. Immer. Das Reden Gottes ist vom Entstehen von Wirklichkeit nicht zu trennen.

Somit hält Gott sein Wort unter allen Umständen. Es geht gar nicht anders.

Darum sagt Gott hier, dass er deshalb, weil er ein Gott des Rechts ist, sich dieser Leute erbarmen wird.

Gott hat Abraham eine Zusage gemacht und hat diese Zusage gegenüber Mose und David und einigen anderen mehrfach wiederholt, und darum kann Gott jetzt die Gemeinde nicht untergehen lassen.

Für die Gemeinde entsteht ein göttliches Recht, weil Gott diese Zusagen gemacht hat.

Die Gemeinde hat von Gott her ein Recht auf Erbarmen.

Aus ihrem eigenen Verhalten hat die Gemeinde kein Recht auf Gnade, weil sich das widerspricht. Der Begnadigte kann die Gnade nicht fordern, denn dann wäre es keine Gnade mehr. Aber er wird die Gnade bekommen, weil von Gott her ein Recht ausgeht.

Neutestamentliche Anwendung

Wenn Paulus sagt, wir seien aus Gnade gerettet, dann meint er damit, dass von unserer Seite aus kein persönliches Recht besteht. Dass ein Ungläubiger in Gottes Reich eingeladen wird, geschieht „ohn all Verdienst und Würdigkeit“.

Von Gottes Seite her besteht aber schon ein Recht. Die Zusagen des Alten Testamentes führen dazu, dass niemand, der zu Gott kommen will, dort abgewiesen werden kann.

Da der Ungläubige aber in keinem Rechtsverhältnis zu Gott steht, kann er dieses Recht nicht einfordern.

Weil Gott aber so ist, wie er ist, wird der Ungläubige doch bekommen, was ihm zusteht. Was ihm nicht zusteht aufgrund eines persönlichen Rechtes, sondern aufgrund einer Aussage Gottes. Das Recht ist also sehr einseitig. Was es schwer macht, dieses Recht zu verstehen. Denn in unserer Zivilgesellschaft kennen wir ein solches Recht nicht.

Jesus

Wir wissen nun, dass auch Jesus nur gekommen ist aufgrund des in Jesaja 30,18 verkündeten Rechts. Also aufgrund der dort verkündeten Gnade.

Denn Gott hatte zugesagt, dass seine Gemeinde niemals untergehen wird. Ja, noch mehr: Dass sie sich ausbreiten wird.

Und um den vom Judentum angesteuerten Untergang des Reiches Gottes zu umgehen, war Gott also rechtlich gezwungen, gnädig zu sein und seinen Sohn zu schicken, um das zu verwirklichen, was seit Abraham und Mose und David auf der To-do-Liste stand.

Und darum sagt Jesaja 30,18, dass alle, die auf Gott vertrauen, glücklich zu nennen sind. Weil Gott ein Gott des Rechts ist.

Weil man sich auf das, was Gott irgendwann einmal gesagt hat, verlassen kann.

Auch auf die Gefahr hin, dass Gott gnädig sein muss, um das Recht Wirklichkeit werden zu lassen.