Jesaja 54,09+10 Kind mit Brandwunde
Gebranntes Kind scheut Feuer.
Und eine Gemeinde, die in ihrer Grundstruktur von Gott völlig aufgelöst wurde, muss immer damit rechnen, dass ihr das noch einmal passiert. Denn dadurch, dass es einmal passiert ist, ist bewiesen, dass es prinzipiell möglich ist.
Denn das ist es, was Gott mit der babylonischen Gefangenschaft gemacht hat: Er hat die Gemeinde in ihrer Struktur völlig aufgelöst.
Die Struktur der alttestamentlichen Gemeinde lag im Land und im Tempel. Sie lag schon auch im Gesetz, aber das Gesetz war angewiesen auf Tempel und Land. Denn das Gesetz galt nur im gelobten Land, und die kultischen Grundleistungen der Gemeinde waren ohne den Tempel nicht möglich.
Mit dem Land und dem Tempel war letztlich auch Gott weg.
Man hatte keine Kontaktmöglichkeiten mehr zu Gott, keine Möglichkeiten des Umgangs, und die Verheißungen des alten Bundes funktionierten nicht mehr, denn sie bezogen sich alle auf das Land.
(Die Möglichkeiten, die der Prophet Daniel durch das Beten hatte und welche der Prophet Hesekiel dank seines Prophetenamtes hatten, waren Ausnahmen, die wir hier für die grundsätzliche Betrachtung weglassen können.)
Vereinfacht könnte man sagen: Gott war einfach weggegangen. Hatte Israel mit unbekanntem Ziel verlassen. So war zumindest das Gefühl der Gläubigen.
Das gebrannte Kind
Die Israeliten hatten die Möglichkeiten Gottes jetzt so richtig kennengelernt. Der konnte tatsächlich das Prinzip „Gemeinde“ vollständig platzen lassen und sich unauffindbar zurückziehen.
Wie oft würde man als Gemeinde dieses Theater mitmachen wollen?
Noch dazu, wo im Gesetz dauernd von einem ewigen Bund und von ewigen Bestimmungen die Rede war, welche aber scheinbar auch von ewigen Unterbrechungen begleitet wurden. Wie ewig ist ewig, wenn man jederzeit damit rechnen muss, dass es für die nächsten 70 Jahre außer Kraft gesetzt wird?
Diese Frage, wie oft man das Theater noch mitzumachen gedenke, hatte sich schon einmal gestellt: Nämlich nach der Sintflut. In der Sintflut hatte Gott gezeigt, dass er nicht nur kräftemäßig in der Lage ist, die Menschheit zu vernichten, sondern auch moralisch. Gott schämt sich nicht für so einen Massenmord, es tut ihm auch nicht so leid, dass er es deswegen sein lässt. Gott hat tatsächlich genügend Rückgrat, so etwas zu tun.
So hatte sich nach Noah die Frage gestellt, wie man weiterleben soll, wenn man einen Gott hat, der jederzeit wieder die Menschheit vernichten kann. Der also unberechenbar ist und dem man hilflos ausgeliefert ist.
Darum wird hier auch diese Sache mit Noah als Beispiel genommen. Weil es wieder um die gleiche Frage geht: Wie soll man weiterleben mit einem Gott, der einem jederzeit den Rücken zukehren kann? Wozu braucht man einen Gott, der einem nicht mehr Sicherheit bietet als der Zufall?
Nein, eigentlich ist es noch schlimmer: Ein Gott, der einem mit Vorsatz Nebukadnezar auf den Hals hetzt und der Menschen ins Exil verschleppen lässt. Ein Gott, der mit Absicht bösartig an seiner Gemeinde handelt. Vielleicht hat er Gründe dafür, mag sein. Aber da wäre man mit irgendeinem Götzen oder mit Zeus oder Krishna doch wohl besser dran. Die helfen einem zwar nicht, aber sie hetzen einem auch nicht mächtige Militärs auf den Hals.
Das zu lösende Problem
Gott hatte jetzt also das Problem zu lösen, wie er die Menschen dazu bringen könnte, dass sie Kontakt zu ihm aufnehmen und sich ihm öffnen.
Obwohl Gott alles kann und alles darf und damit völlig unberechenbar ist.
Die Lösung wäre demnach, die Unberechenbarkeit nach unten, also zum Bösen hin, abzustellen. Es musste nach unten hin eine Grenze geben, die Gott nicht überschreiten würde. Gott musste unfähig zum Bösen werden. Zumindest gegenüber seiner Gemeinde.
(Für alle anderen spielte das keine Rolle. Wer nicht an Gott glaubt und Gott nicht akzeptiert, für den ist es egal, ob Gott Böses tun kann oder nicht.)
Und diese Grenze wird hier angekündigt.
Durch einen Schwur Gottes wird in Aussicht gestellt, dass Gott gegenüber seiner Gemeinde nie wieder etwas negatives tun wird.
Damit ist die Allmacht Gottes nach unten gedeckelt. Zum Guten hin haben wir natürlich immer noch einen Gott, der alles kann und alles darf. Aber dieses Gute wird jetzt nicht mehr durch die Möglichkeit des Bösen beeinträchtigt.
Die Umsetzung
Bei Jesaja war es ja erstmal nur eine Ankündigung. Der wusste noch nicht, welch eine Sicherheit Gott in die Umsetzung dieses Versprechens legen würde.
Denn dadurch, dass die Gemeinde des neuen Bundes „der Leib Christi“ ist, also sozusagen eine Inkarnation von Gottes Sohn, ist es natürlich ohnehin völlig unmöglich, dass Gott der Gemeinde etwas Böses tut.
Wenn man noch dazu bedenkt, dass die Gemeinde geprägt und getragen wird vom Heiligen Geist, der ja ebenfalls eine Instanz Gottes ist, dann wird es noch unmöglicher, dass Gott diese Gemeinde irgendwie angreift.
Die Sicherheit, die wir darin haben, dass Gott der Gemeinde nie wieder etwas Böses antun wird, beruht jetzt nicht mehr nur auf dem Versprechen von Jesaja, sondern auf der Logik, dass Gott nicht gegen seinen Sohn und seinen Geist Krieg führen wird.
Die Einschränkung
Das Versprechen Gottes gilt seiner Gemeinde in ihrer Universalität.
Damit besagt dieses Versprechen auch, dass es immer Gemeinde geben wird und dass Gott immer zu finden sein wird.
Wie wir aus den Sendschreiben der Offenbarung wissen, kann Gott einzelne Ortsgemeinden durchaus verlassen oder dem Teufel in die Hand geben. „Gemeinde“ wird nicht definiert durch ein Schild an der Tür, sondern durch die Anwesenheit des Heiligen Geistes und durch die Wesensart, dass die Gemeinde tatsächlich der neue Körper von Jesus ist. Wenn diese Definition auf eine „Gemeinde“ gar nicht zutrifft, wird diese Gemeinde auch nicht vom Versprechen Gottes berührt, denn es gilt nicht für sie.
Nicht für Einzelpersonen
Da wir es gewöhnt sind, die Bibel versweise zu lesen und nicht im großen Zusammenhang, könnte man schnell auf die Idee kommen, dieses Versprechen Gottes gelte auch für Einzelpersonen. Schließlich steht im Text immer „dir“ und „du“ und „dein“.
Aber Gott hat keinen Bund mit Einzelpersonen. Gottes Bund ist immer nur mit der Gemeinde, also einer Gruppe. Gehört eine Person zu dieser Gruppe, gilt das Versprechen Gottes natürlich auch dieser Person – noch dazu, wo die Gemeinde ja nur aus Einzelpersonen besteht.
Aber Jesaja 54 richtet sich eindeutig an die Gemeinde. Man muss das Kapitel halt im Zusammenhang lesen.
Eine fromme Einzelperson, der die Gemeinde zu anstrengend ist oder die glaubt, die Gemeinde nicht nötig zu haben, kann sich nicht erfolgreich auf dieses Versprechen Gottes berufen.
Zusammenfassung
Was Jesaja hier ankündigt, ist ein Gott, dessen Allmacht nach unten begrenzt ist.
Dadurch, dass Gott gegenüber seiner Gemeinde nichts „böses“ mehr tun kann, findet auch keine Relativierung oder kein Ausgleich zwischen Gottes Gutem und Gottes Bösem mehr statt. Gottes Segen wird nicht mehr durch irgendwelche Strafen relativiert.
Damit steigt die Möglichkeit des Segens natürlich ins Unermessliche. Der Segen Gottes kann nicht mehr ausgebremst werden, denn der Einzige, der Macht über Gottes Segen hat, ist Gott selber. Und wenn Gott selber sich nach unten limitiert, dann ist nach oben natürlich alles offen.
Das ist auch das Bild, das uns das Neue Testament zeichnet. Die Möglichkeiten des Positiven sind unendlich, und der Segen Gottes ist von einer unbeschreiblichen Fülle und Tiefe.
Jesaja hat also recht gehabt, und wir danken ihm dafür, dass er uns die Hintergründe der nach oben offenen Segensskale erklärt hat.