Jeremia 31,35-40 ich dachte, es geht um mich
Dieser Text wurde geschrieben in schlimmen Zeiten. Also der Corona Virus ist nichts dagegen. Die Zeiten sind eher vergleichbar mit dem Ende des zweiten Weltkriegs und den letzten Tagen des deutschen Reiches.
Juda und eben auch Jerusalem waren von Nebukadnezar erobert worden und platt gemacht worden. Wobei der amtierende König in Jerusalem es hatte drauf ankommen lassen und noch nicht einmal eine bedingungslose Kapitulation in Erwägung gezogen hatte, sondern man hatte sich tatsächlich bis auf den letzten Quadratzentimeter erobern lassen.
Und Nebukadnezar beabsichtigte, die gesamte Elite des Landes zu verschleppen. Weit weg. Ganz weit weg. Sicher ist sicher. Also all denen, die Abitur hatten, stand eine lange Wanderung bevor.
Vom einstigen glanzvollen Israel von David und Salomo war absolut nichts mehr übrig. Das Nordreich gab es ohnehin schon seit 150 Jahren nicht mehr, das war ausländische Provinz, und jetzt war auch der letzte Rest dahin, und Jerusalem war so zerstört, dass man die Verwaltung nach Mizpa verlegen musste, denn in Jerusalem gab es kein Haus mehr mit Dach.
Und in diese Lage hinein hatte Gott die berühmten Worte von Jeremia 31,31 gesagt, dass er einen völlig neuen Bund mit seinem Volk machen will – naja, dass irgendwas an dem alten Bund nicht mehr funktionierte, konnte man anhand der verbrannten Ruinen ja erahnen.
Und dieser neue Bund sollte anders sein. Gott wollte das Gesetz auf die Herzen der Menschen schreiben und es in ihr Innerstes legen. Und jeder könnte direkt Gottes Willen erkennen, man brauchte keine Mittler mehr, keine Propheten und keine Priester.
Die anschließenden Verse setzen sich aus drei verschiedenen Bekanntmachungen Gottes zusammen, und die erste geht so: Jer 31,35
Und zuerst einmal erinnert Gott daran, wer hier spricht.
35 So spricht der HERR, der die Sonne gesetzt hat zum Licht für den Tag, die Ordnungen des Mondes und der Sterne zum Licht für die Nacht, der das Meer erregt, dass seine Wogen brausen, HERR der Heerscharen ist sein Name:
Gott erklärt also, dass er derjenige ist, der für die grundlegenden Ordnungen des Universums zuständig ist und dass er derjenige ist, der über diese Dinge herrschen kann. Wobei schon klar ist, dass wenn Sonne, Mond und Sterne und das Meer einmal nicht mehr funktionieren, dass dann überhaupt nichts mehr funktioniert und man dann sowieso alles vergessen kann.
Und als der Herr der Heerscharen stellt Gott sich vor.
Als der, der die Macht hat.
Der, dem die himmlische Armee untersteht.
Und als solcher bestimmt er jetzt das Folgende:
36 Wenn diese Ordnungen vor meinem Angesicht weichen, spricht der HERR, dann soll auch die Nachkommenschaft Israels aufhören, eine Nation zu sein vor meinem Angesicht alle Tage.
Es geht also um die Nachkommenschaft von Jakob.
Damit hängen wir irgendwie auch immer noch in den Nachwehen der Verheißungen an Abraham.
Und diese Nachkommenschaft von Jakob, also die Gläubigen, also diejenigen, die zu Gott gehören, die werden so lange eine Nation vor Gottes Angesicht sein, wie die Ordnungen von Sonne, Mond, Sternen und Meer in Kraft sind.
Die Frage ist also nicht: Wird es immer Gläubige geben?
Sondern die Frage, die hier beantwortet wird, ist: Wird es immer eine Organisation geben?
Wird es immer eine geschlossene Gruppe von Gläubigen geben?
Wird es immer ein Reich geben, einen Staat?
Und zwar einen Gottesstaat, ein Gottesreich.
Bedeutung für die Leute damals
Nun hatte diese Ansage Gottes für die Gläubigen in der damaligen Situation natürlich einen hohen Wert.
Denn die hatten gerade auch die letzten Reste des Gottesreiches verloren, und ein Neues oder ein Ersatz oder etwas Vergleichbares war nicht in Sicht.
Diese Menschen verloren gerade ihre nationale Identität, ihre Zugehörigkeit.
Das war ja Sinn der Umsiedlungen, dass die Besiegten jede nationale Kraft verloren und alle die Energie, die aus Zusammengehörigkeit entsteht. Man wollte ja dauerhaft Ruhe haben. Darum mussten die alle ins Exil.
Und wenn Gott diesen Menschen jetzt zusagt, dass die Pläne von Nebukadnezar nicht funktionieren werden, dann ist das sicher eine trostreiche Botschaft.
Aber was ist die Botschaft dieses ersten Spruches für uns?
Was will Gott uns damit sagen, dass es immer eine abgeschlossene Organisation der Gläubigen geben wird? Immer. Bis ans Ende der Welt.
Der zweite Spruch
Schauen wir also auf den zweiten Spruch, vielleicht hat der mehr Botschaft:
37 So spricht der HERR: Wenn der Himmel oben gemessen werden kann und die Grundfesten der Erde unten erforscht werden können, dann will ich auch die ganze Nachkommenschaft Israels verwerfen wegen all dessen, was sie getan haben, spricht der HERR.
Wir sind wieder bei der Nachkommenschaft von Jakob.
Und zwar bei der ganzen Nachkommenschaft Israels.
Bei der kompletten Gruppe.
Und Gott sagt: Wenn das Universum vermessen werden kann und wenn die naturwissenschaftlichen Existenzgrundlagen der Erde verstanden worden sind und man den inneren Kern der Erde erforschen kann, also wenn es einen Bohrer gibt, der lang genug ist und der die Hitze da unten aushält und der nicht von Druck im Erdinneren grad wieder nach oben gedrückt wird -
dann wird Gott der gesamten, jawohl, der gesamten, um die geht es hier, Nachkommenschaft Israels kündigen.
Die werden dann nicht mehr zu Gott gehören.
Wegen dem, was sie getan haben.
Wobei die Frage nicht ist, ob die Nachkommenschaft von Jakob irgendwas verdammungswürdiges tun wird.
Natürlich wird sie das tun.
Man sündigt ständig, auch die Gläubigen.
Auf das Gegenteil braucht man gar nicht zu hoffen.
Und jeder tut das. Es wird niemals einen Menschen geben und hat auch erst einmal einen gegeben, der die Ansprüche Gottes vollständig erfüllen könnte.
Das geht auch gar nicht.
Wer Gottes Ansprüche vollständig erfüllen will, muss selbst Gott sein.
Die Aussage
Die Aussage des zweiten Spruchs ist also, dass Gott die Gemeinde als Organisation niemals komplett zum Teufel gehen lässt aufgrund der Sünden, die die Gemeindeglieder begangen haben.
Oder andersrum: Die Gemeinde als Organisation wird es immer geben.
Dritter Spruch
Jer 31,38-40
38 Siehe, Tage kommen, spricht der HERR, da diese Stadt für den HERRN wieder gebaut werden wird, vom Turm Hananel bis zum Ecktor.
39 Und die Messschnur wird weiter fortlaufen geradeaus über den Hügel Gareb und sich nach Goa wenden.
40 Und das ganze Tal der Leichen und der Fettasche und alle Terrassengärten bis zum Bach Kidron, bis zur Ecke des Rosstors nach Osten zu, wird für den HERRN heilig sein. Die Stadt soll nicht mehr niedergerissen noch zerstört werden in Ewigkeit.
Es wird ein neues Jerusalem geben. Dieses wird bestehen aus
- dem alten Teil, der allerdings ganz und gar dem Herrn heilig sein wird. Die gesamte bisherige Stadt wird also Tempel, Heiligtum.
- Randbezirken, die bis dato außerhalb der Stadtmauer lagen. Diese Randbezirke waren bisher zum Teil durchschnittlich unheilig, zum Teil extrem unrein. Ist egal: Sie werden eingemeindet und auf die Heiligkeit des Tempels hochgestuft.
Das bedeutet natürlich auch, dass ab diesem Zeitpunkt nur reine, heilige Menschen in der Stadt leben dürfen.
Was wiederum impliziert, dass das Problem mit der Sünde gelöst ist.
Oder es wird eine Stadt mit sehr wenigen Menschen drin.
Auf jeden Fall geht auch dieser dritte Spruch nur über die Gemeinde, ihre Ausdehnung, ihre Heiligkeit.
Der Gottesdienstbesucher und der Leser
Da kommen also die Zuhörer in den Gottesdienst und wollen eine erbauliche Predigt hören.
Sie wollen hören, dass Gott sie lieb hat.
Und wie gütig Gott an ihnen zu handeln gedenkt.
Und dass Gott sich ihrer Sorgen und ihrer Ängste annehmen wird.
Dass Gott die Lösung weiß für ihre Probleme.
Dass Gott sie annimmt und sie umsorgt.
Und dann kommt Gott und sagt im ersten Spruch:
Ich liebe die Gemeinde und werde dafür sorgen, dass sie immer in einer organisierten Form existieren wird.
Und dann sagt Gott im zweiten Spruch:
Ich liebe die Gemeinde und werde sie niemals in ihrer Gesamtheit verwerfen.
Und dann sagt Gott im dritten Spruch:
Ich liebe die Gemeinde und werde sie neu bauen, das alte werde ich wieder in einen prima Zustand versetzen, und ich werde neue Teile mit zur Gemeinde dazu nehmen, und die ganze Gemeinde soll heilig sein, ach wie schön!
Gott hat einen neuen Bund angekündigt, wo er das Gesetz den Menschen aufs Herz schreiben will und in ihr Innerstes hinein, und der Egoist beginnt zu lobsingen, denn endlich wird das Evangelium individualisiert!
Endlich keine Abhängigkeiten mehr von einer Gruppe! Vor allem keine Abhängigkeit mehr von den Schwachköpfen und den Versagern in der Gruppe!
Endlich nicht mehr langsam machen müssen, weil man auf irgendeine Schnecke warten muss!
Endlich! Gott liebt mich!
Und Gott sagt, ganz penetrant und monoton: Ich liebe die Gemeinde.
Das ist natürlich irgendwie nicht neu.
Das zweite, dritte, vierte und fünfte Buch Mose sind reine Gemeindebücher.
Josua und Richter handeln nur von Gemeinde.
Die Königsbücher und die Chroniken gehen nur über Gemeinde.
Nehemia und Esra erzählen die Geschichte der Gemeinde.
Die Propheten richten ihr Wort von vorn bis hinten an die Gemeinde.
Der einzige Teil im AT, wo die individuellen Bedürfnisse und Empfindungen der Menschen einen größeren Raum einnehmen, sind Psalmen Sprüche Prediger und Hiob. Selbst das Hohelied fällt in die andere Kategorie.
Und Jesus macht keine Individualberatung, sondern hat mindestens 12 bei sich.
Wobei bei Jesus relativ viel dabei ist, was sich um die Beziehung des Einzelnen gegenüber Gott dreht.
Aber Paulus schreibt an Gemeinden, und wenn er Einzelpersonen wie Timotheus und Titus schreibt, dann über Gemeinde. Und die sieben Sendschreiben der Offenbarung gehen an Gemeinden.
Und selbst so beliebte Stellen wie „ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein“ richtet sich nicht etwa an eine Einzelperson, sondern an die Gemeinde.
Herkunft der Erwartung
Selbstverständlich hat der Zuhörer seine Erwartungen nicht aus der Luft gegriffen.
Jahrzehntelang haben die Christen in die Welt posaunt „Gott liebt Dich!“, und haben vergessen hinterher zu posaunen „und die Gemeinde noch viel mehr“.
Und da die Welt immer einen enormen Einfluss auf die Gemeinde hat, in jeder Hinsicht, so ist mit der Individualisierung in der Gesellschaft auch die Individualisierung unter den Christen eingezogen.
Gemeindeauswahl
Ganz deutlich merkt man das daran, dass die Leute, wenn sie eine neue Gemeinde suchen, nicht etwa fragen:
Welche Gemeinde braucht mich?
Welcher Gemeinde kann ich am besten dienen?
In welcher Gemeinde will Gott mich haben –
- vielleicht, um die Gemeinde besser zu machen,
- vielleicht um gegenzusteuern,
- vielleicht um der Sünde in dieser Gemeinde mal den Kampf anzusagen,
- vielleicht, um Gott Willen in dieser Gemeinde mal wieder Respekt und Achtung zu verschaffen?
Aber das würde natürlich bedeuten, dass ich in eine suboptimale Gemeinde komme.
Denn wenn die Gemeinde ein Defizit hat, an dessen Beseitigung ich arbeiten soll, dann ist das logischerweise eine fehlerhafte Gemeinde.
Eine Gemeinde, wo einiges im Argen liegt.
Eine Gemeinde, die weit von perfekt oder schön entfernt ist.
Eine Gemeinde, zu der man eigentlich nicht gehören will.
Aber soweit kommt es nicht, denn die Frage, in welcher Gemeinde Gott mich brauchen kann, wird gar nicht gestellt, sondern man fragt:
Welche Gemeinde bedient mich am besten?
Welche Gemeinde gefällt mir am besten?
Welche Gemeinde passt am besten zu mir?
Welche Gemeinde erbaut mich am besten? Möglichst, ohne mir auf die Füße zu treten?
Mit welcher Gemeinde habe ich die meisten Übereinstimmungen?
Zusammenfassung
Die Frage, die sich stellt, ist: Wer ist wichtiger, die Gemeinde oder ich?
Wessen Wohl ist bedeutender: Meines oder das der Gemeinde?
Und eigentlich muss man die Frage noch genauer formulieren:
Wer ist in Gottes Augen wichtiger? Die Gemeinde oder ich?
Und die Gemeinde ist, das hat Paulus deutlich herausgearbeitet, der Leib Christi.
Und damit ist die Frage eigentlich beantwortet.
Dass Gott mich liebt, ist keine Frage.
Aber dass Gott seinen erstgeborenen Sohn, der mit ihm auf dem Thron sitzt, dass er den noch mehr liebt als mich und dass der schlicht wichtiger ist als ich, dass scheint mir auch klar zu sein.
Und von daher erklären sich solche Texte wie hier Jeremia 31, wo Gottes erstes Augenmerk auf der Gemeinde liegt und nicht auf dem Wohl meiner bedeutenden Persönlichkeit.
Und vermutlich machen wir nichts falsch, wenn wir das lieben, was Gott auch liebt.