Jeremia 7,22 – Gott widerspricht Gott
Da ist mal wieder so einer – kannste dir nicht ausdenken.
Gott widerspricht seinem eigenen Wort und redet dabei so einen Blödsinn, dass die Bibelkritik den Sekt aufmacht.
So ist es zumindest, wenn man sein Bibelverständnis von den konservativen Leuten bezieht, die uns beigebracht haben, dass die Bibel (und damit der Wille Gottes) auf ewig unveränderbar und somit keiner Berichtigung, Veränderung oder Anpassung bedarf.
Die haben uns das so erzählt, als habe Gott die Israeliten aus Ägypten herausgeführt, und die Israeliten hatten keinen Zeitgeist und keine Tradition und keine Jahrhunderte alten Vorurteile.
Sondern die Welt und die Israeliten waren klar und rein und ungeformt, sozusagen seelisch und kulturell jungfräulich, und da hinein hat Gott sein ewiges, seit Anbeginn der Welt feststehendes Gesetz gestellt. Zack, bumm, da stand es. Von Mose verkündet, seit Ewigkeiten geplant, und Gott musste sich an keine Traditionen anpassen und musste keinen Zeitgeist berücksichtigen und musste keine Rücksicht nehmen auf ein sich veränderndes Weltverständnis der Menschen. Das Wort Gottes, verpackt in das Gesetz, hatte keine Konkurrenz und wurde von nichts verfärbt, es war ewig und unwandelbar – Beton ist Pudding dagegen.
Und dann kommt Jeremia und erzählt: Jer 7,22
22 Denn ich habe nicht mit euren Vätern <darüber> geredet und ihnen nichts geboten über das Brandopfer und das Schlachtopfer an dem Tag, da ich sie aus dem Land Ägypten herausführte;
Das ist dann doch erstaunlich. Haben doch die meisten Christen schon mehrmals erfolgreich über die langen und ausführlichen Gesetzte zur Durchführung der verschiedenen Opfer drüber weg gelesen. Diese Texte sind so lang und so auffällig, dass auch Jeremia sie nicht übersehen haben kann.
Die Opfer als Notbehelf
Ursprünglich hatte Gott überhaupt keine Religion geplant.
Religion, das ist etwas für Götzen. Kultus ist etwas, das brauchen Kunstfiguren. Oder Könige, die das Volk auf Abstand und in Niedrigkeit halten müssen, um nicht selber gefährdet zu werden.
Gott ist aber keine Kunstfigur, und er wird auch durch niemanden gefährdet.
Darum wollte Gott von Anfang an den direkten Kontakt zu seinem Volk. Gott wollte den Leuten kein Buch in die Hand drücken, das sie zu lesen hätten. Er wollte keine Priester zwischen sich und die Leute schalten. Gott wollte keinen Kultus einrichten, der die Leute schön auf Abstand hielt. Sondern eigentlich waren Gottes Absichten diese: 2.Mose 19,6
6 Und ihr sollt mir ein Königreich von Priestern und eine heilige Nation sein. Das sind die Worte, die du zu den Söhnen Israel reden sollst.
Das ist letztlich das, was wir im Neuen Testament dann – zumindest theoretisch – haben: Das Priestertum aller Gläubigen.
Es wäre, wenn es funktioniert hätte, vielleicht anders ausgestaltet gewesen, als wir es heute haben.
Aber nichtsdestotrotz, das war der Plan.
Darum kennen auch die Worte Gottes, die Gott zum Volk vom Berg herab spricht (von Exodus 19 bis Exodus 24), den Kultus nicht, wie wir ihn mit der Stiftshütte und später mit dem Tempel kennen. Es gibt zwar ein Altargesetz (Exodus 20,22), das hat aber mit dem Altar am Heiligtum nichts zu tun, sondern handelt von Altären, die an beliebiger Stelle in der Landschaft stehen können.
Als aber das Volk sich weigerte, direkt mit Gott zu reden – in der Bibel wird das mit wenigen Sätzen erzählt (Exodus 20,19), aber vermutlich war es ein länger dauernder Aufstand und nicht eine Sache, die in 10 Minuten erledigt war – da erfand Gott einen Kultus. Denn das ist die einzige Alternative zu „wir reden nicht direkt mit Gott“.
Was Jeremia sagen will
Gott weist durch Jeremia darauf hin, dass die erste Rede von Gott an das Volk (oder an Mose) nur über ethische Dinge ging: Über körperliche Gewalt, Gier, Sachbeschädigung, Diebstahl, Minderheitenrechte und Korruption.
„Religion“ oder „Kultus“ kam behelfsmäßig dazu, hatte aber mit Gottes eigentlichen Absichten nichts zu tun.
Darum gibt es so viele Bibelstellen, in denen darauf hingewiesen wird, dass Gott nicht Schlachtopfer will, sondern irgend etwas anderes: Gehorsam, Barmherzigkeit, positive Haltung und Rechtmäßigkeit. Selbst Jesus musste solche Bibelstellen noch zitieren.
Denn in der jüdischen Religion war es sehr schnell soweit gekommen, dass die Opfer das Einzige waren, auf das es ankam.
Die Opfer bestimmten die Stellung des Menschen zu Gott.
Das führte dann dazu, dass Gott immer nur als der Fordernde dastand. Die Pharisäer waren sogar in der Lage, den Sabbat wie ein Opfer für Gott zu behandeln – etwas, das Gott fordert, und wenn man es bringt, ist die Beziehung zu Gott in Ordnung, egal ob man im restlichen Leben kriminell, korrupt oder bösartig ist.
Die Veränderung
Wir erfahren hier bei Jeremia, was die erzkonservativen Bibeltreuen nicht erfahren wollen: Dass Gottes Wort veränderbar ist. Es ist nicht ewig und unwandelbar. Ewig und unwandelbar ist Gott selber. Sein Wort passt er aber an die Gegebenheiten an, die er vorfindet.
Wohlgemerkt: Gott passt sein Wort an. Wenn die liberale Theologie die Hälfte der Bibelstellen einfach mal streicht, weil ihr die Logik nicht einleuchtet oder weil ihr der Sprachduktus unangemessen erscheint, dann ist das durch nichts legitimiert.
Die Einführung eines Kultus mit Schlachtopfern war so eine Veränderung von Gottes Wort. Die Menschen waren damals nicht in der Lage, Gott ohne eine Liturgie und religiöse Regeln zu begegnen. Und genau so, wie Gott sein Wort dergestalt verändern konnte, dass er den Kultus einführte, so konnte er sein Wort natürlich auch verändern, indem er den Kultus wieder absetzte: Hier bei Jeremia und bei den anderen Propheten dadurch, dass er ihn für nebensächlich erklärt; in der babylonischen Gefangenschaft, indem er ihn unmöglich macht (es gab keinen Tempel mehr); bei Jesus dadurch, dass Jesus zeigen sollte, was Gott wirklich wichtig ist – und das waren andere Dinge als kultische Regeln. (Ob Jesus jemals selber ein Opfer im Tempel gebracht hat, wissen wir nicht. Jesus war wohl mehrmals in Jerusalem, aber die Evangelisten erzählen nichts davon, dass Jesus eine Kuh oder ein Schaf gekauft hat, um es im Tempel zu opfern. Und ja: Sie können jetzt fragen, wo er das Fleisch für das Passahmahl herhatte, dass er kurz vor seinem Tod mit den Jüngern aß. Aber wer kann Ihre Frage beantworten?)
Auch noch
Solche Veränderungen in Gottes Wort haben Sie in der Bibel übrigens des Öfteren.
Während es in Exodus 20,5 (und nicht nur dort) ausdrücklich heißt, dass Gott die Schuld einer Person bis in die vierte Generation bestraft, betonen Hesekiel und Jeremia ausdrücklich, dass diese Ankündigung nicht mehr gilt und somit abgeschafft ist.
Die Einführung des Scheidebrief erklärt Jesus damit, dass Gott sich an die Schlechtigkeit der Menschen anpassen musste und den Scheidebrief eingeführt hat, um Schlimmeres zu verhindern (Mt 19,8).
Das Verbot des Essens von Blutwurst (Apg 15,20) wurde nicht in die Gemeinden eingeführt, weil es Gottes originärem Willen entsprach, sondern weil eine gemischte Gemeinde aus Juden und Griechen sonst nicht funktioniert hätte.
Und dann gibt es natürlich noch die ganze Königsfrage: Dass Gott erst absolut gegen einen König war und das dem Samuel auch deutlich gesagt hat. Dass Gott dann einen zum König auswählt, den er nach einiger Zeit fallen lassen muss. Und dann beruft Gott einen zum König, den er so ungemein segnet – wenn man das sieht, fällt es schwer zu glauben, dass Gott irgendwann mal gegen einen König war.
Die besonders bibeltreuen Christen haben offenbar ein Problem mit Veränderung: Sowohl mit einer sich verändernden oder sich anpassenden Schöpfung (wir nennen das Evolution) als auch mit einem sich verändernden und anpassenden Willen Gottes. Vielleicht haben sie Angst, den Willen Gottes nicht richtig erkennen können, wenn sich die Gesetzeslage ständig verändert.
Ach, übrigens: Ein Gesetz gibt es auch nicht mehr. Wer das Neue Testament wie die Scharia benutzt, muss vielleicht noch einmal nachlesen.