Jeremia 12,1-6 – Kein Sieg über das Böse
Dieser Artikel erklärt, warum das Böse oder Ungerechte auf dieser Erde immer die sichtbare Macht haben wird, und warum Gott keineswegs beabsichtigt, etwas dagegen zu tun.
Jeremia hat ein schwerwiegendes Problem. Ein Problem über Recht und Gerechtigkeit.
Und darüber möchte Jeremia mit Gott reden, denn er ist der Meinung: Gott handelt ungerecht.
Andererseits ahnt Jeremia aber, dass er hier sein eigenes Rechtsverständnis an Gott anlegt. Ein menschliches Rechtsverständnis. Und dass Gott aber nach einem völlig anderen Rechtsverständnis handelt. Dass „Recht und Gerechtigkeit“ in Gottes Augen etwas völlig anderes sind als in den Augen der Menschen.
Und natürlich kann man in so einem Fall auf Gott nicht das Rechtsverständnis der Menschen anwenden. Denn das Rechtsverständnis der Menschen ist hierarchisch niedriger als das Rechtsverständnis Gottes.
Folglich ahnt Jeremia schon, dass Gott am Ende Recht behält. Weil es eben nach anderen Grundsätzen geht als denjenigen, die Jeremia kennt.
Am Ende wird Gott als gerecht dastehen, obwohl das, was Gott tut, nach außen hin so aussieht, als wäre es ungerecht.
Jeremia 12,1
1Du bleibst im Recht, HERR, wenn ich mit dir einen Rechtsstreit führe. Dennoch möchte ich Rechtssachen mit dir bereden:
Jetzt kommt die Frage, die Jeremia mit Gott bereden will: Jeremia 12,1–3
Warum ist der Weg der Gottlosen erfolgreich, warum haben Ruhe alle, die Treulosigkeit üben?
2Du hast sie gepflanzt, sie haben auch Wurzel geschlagen; sie wachsen, tragen auch Frucht. Nahe bist du in ihrem Mund, doch fern von ihren Nieren.
3Du aber, HERR, du kennst mich, du siehst mich und prüfst mein Herz, wie es zu dir steht.
Bewiesenermaßen ist Jeremia ein Freund von Gott. Warum dürfen Gottes Feinde den Jeremia dann dermaßen schlecht behandeln?
Ansonsten ist der Vorwurf des Jeremia der ewig gleiche, wie wir ihn aus vielen Psalmen kennen: Dass es den Gottlosen so gut geht – und damit implizit den Gottesfürchtigen schlecht.
Also macht Jeremia jetzt den Vorschlag: Wo es den Gottlosen jetzt so lange gut gegangen ist und sie fett und wohlgenährt geworden sind, könnte man sie jetzt doch schlachten. Also die gleiche Vorgehensweise wie bei Kühen, Schweinen und Gänsen.
(3) Reiße sie fort wie Schafe zur Schlachtung und weihe sie für den Tag des Abschlachtens!
Dieser ganze Vorwurf des Jeremia ist nicht ganz unpersönlich: Denn Jeremia hatte sehr viel Ärger und Schwierigkeiten mit denen, die das nicht mochten, was Jeremia im Namen Gottes sagte. Er, der den Willen Gottes verkündigte, wurde bestraft und beleidigt von denen, die den Willen Gottes ablehnten. Das vorhergehende Kapitel endet damit, dass die führenden Männer von Jeremias Heimatstadt Anatot ihn vor die Wahl stellten: Schweigen oder Tod.
Gott antwortet
Haben Sie damit gerechnet? Wo doch schon so viele Leute die Frage nach der Ungerechtigkeit gestellt haben? Aber Jeremia bekommt tatsächlich eine Antwort von Gott.
Jeremia 12,5
5Wenn du mit Fußgängern läufst und sie dich schon ermüden, wie willst du dann mit Pferden um die Wette laufen? Und wenn du dich nur im Land des Friedens sicher fühlst, wie willst du es dann machen in der Pracht des Jordan?
Die Pracht des Jordan ist da, wo es Löwen und Bären gibt. Und wenn Jeremia sich nur in einem friedlichen Land sicher fühlt und sich jetzt in Juda schon beschwert, weil ihm der Oberbürgermeister von Anatot mit dem Tode droht, wie will er denn dann die Zukunft aushalten?
Es gibt hier von Gottes Seite kein Entgegenkommen. Jeremias Wunsch nach mehr Gerechtigkeit wird rundweg abgelehnt. Im Gegenteil wird von ihm verlangt, dass er nicht nur die Ungerechtigkeit aushält, der er zur Zeit ausgesetzt ist, sondern noch viel schlimmere Ungerechtigkeiten.
Denn jetzt verpetzt Gott auch noch die Verwandten des Jeremia bei Jeremia. Und wenn Jeremia glaubte, der Stadtrat von Anatot sei sein größtes Problem, dann wird er jetzt eines Bessern belehrt. Jeremia 12,6
6Denn auch deine Brüder und das Haus deines Vaters, auch sie sind treulos gegen dich, auch sie rufen dir nach aus voller Kehle. Glaube ihnen nicht, wenn sie freundlich mit dir reden!
Es wird also alles noch schlimmer kommen, noch ungerechter, und Gott hat nicht die Absicht, etwas dagegen zu unternehmen. Er wird das laufen lassen.
Die absurde Idee
Da hat jetzt der Jeremia doch tatsächlich gemeint, auf dieser Welt hätte die Gerechtigkeit einen besseren Stand als die Ungerechtigkeit.
Der hat wirklich gedacht, die Gerechtigkeit und die Sache Gottes würden sich auf dieser Erde als die stärkeren erweisen.
Welch eine dumme, undurchdachte Idee!
Als wenn der Wille Gottes sich auf der Erde durchsetzen würde, und diejenigen, die zu Gott gehören, würden am Ende zu den Gewinnern gehören, und die Kriminellen wären die Unterdrückten!
Welch ein absurder Gedanke!
Als wenn Gott Herrn Putin bestrafen würde oder die Mafia zur Rechenschaft ziehen würde! Als ob Gott diejenigen, die Gift und Müll ins Meer kippen, für ihr Handeln belangen würde, oder als wenn er die Planer der Flugzeuge ins World Trade Center zur Verantwortung ziehen würde!
Man stelle sich die groteske Situation vor, dass die Gottesfürchtigen an die Macht kommen und dann nach den Regeln der Liebe und des Guten regieren! Wie skurril wäre es, wenn für Rohstoffe aus Afrika faire Preise bezahlt werden müssten und wenn Ausbeutung und Sklaverei wirksam bekämpft würden!
Wie abartig, wenn Gottes Wille mehr Erfolg hätte als der Wille der Gottlosen oder des Bösen!
Die Konsequenzen der absurden Idee
Wenn das so wäre, dann würden sich ja alle, die gerne auf der Gewinnerseite stehen wollen, Gott anschließen. Aber sie würden sich nicht Gott anschließen, weil sie Gott lieben, sondern weil man in Gottes Nähe zu den Gewinnern gehört.
Das ist der gleiche Grund, warum man Fan von Bayern München wird. Weil man dann zu einem Verein gehört, der prozentual mehr Siege verzeichnet als die anderen Vereine und als die politischen Parteien.
Man wird Fan von Bayern München, weil man öfter zu den Siegern gehört.
Weil man dann häufiger auf der Seite der Gewinner steht.
Und so stellt man sich auf die Seite Gottes, weil dort gewonnen wird.
Man stellt sich nicht auf Gottes Seite, weil man Gott liebt. Oder weil man das Gute so gut findet oder Gottes Gerechtigkeit für so gerecht hält.
Man wird ein Fan von Gott, weil das am lukrativsten ist. Sich am meisten lohnt. Die besten Ergebnisse erzielt.
Wir hätten die Gemeinden dann voll von Leuten sitzen, die hier nur den Segen abgreifen wollen. Ein Haufen von Opportunisten, die nicht verlieren mögen.
Leute, die das Gute nicht wollen, weil sie das Gute lieben, sondern weil das Gute den meisten Gewinn abwirft.
Also der Gedanke, dass der Wille Gottes ein Mittel zum Gewinnen ist, ist wirklich ziemlich blöd. Insofern hatte Jeremia recht, als er vermutete, dass Gott am Ende ohnehin im Recht sein würde. Ja, Gott würde Recht behalten, weil Jeremias Idee, dass der Wille Gottes gewinnen würde, unlogisch und albern ist.
Draufhauen
Jeremias Vorschlag war: Gott soll das Böse und das Ungerechte besiegen, indem er mit aller Kraft draufhaut.
Auf so eine Idee sind Hitler und Stalin natürlich auch schon gekommen.
Jeremia ist hier im gleichen Denken gefangen wie das Böse.
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Das Gute ist nur dann das Gute, wenn es triumphiert.
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Recht hat nur der, der gewinnt.
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Ob es die Wahrheit ist, sieht man daran, dass sie der Sieger ist.
Gottes Maßnahme
Gott bekämpft das Böse, indem er selbst wie das Opfer aussieht, wie der Verlierer.
Das versteht Jeremia natürlich erstmal nicht.
Aber das Böse versteht es eben auch nicht.
Wenn das Böse gewusst hätte, was es anrichtet, wenn es den Sohn Gottes durch Kreuzigung aus der Welt schafft, hätte es sich vermutlich anders verhalten.
Was Jeremia also zu erwarten hat, ist nicht Gottes Darstellung als Rächer, als durchsetzungsfähiger Kämpfer. Sondern was er zu erwarten hat, ist noch mehr Gott als Opfer.
Und damit noch mehr Ungerechtigkeit.
Noch mehr Verweigerung des Richtigen.
Und eigentlich wurde Jeremia genau dazu berufen: Die Schwäche Gottes sichtbar zu machen.
Denn es war ja geplant, dass die Judäer nicht auf Jeremia hören würden. Jeremia würde die Wahrheit sagen, aber die Menschen würden sich weigern, die Wahrheit Gottes zu akzeptieren.
Sie würden also mit Gott und seinem Wort umgehen wie mit einem Dreijährigen. Wenn einem das Geplärr zu blöd wird, wird man irgendwie dafür sorgen, dass Ruhe einkehrt.
Und dann würde Nebukadnezar kommen und würde genauso, wie das Böse sich die Bekämpfung des Bösen vorstellt, die Judäer und Jerusalem bestrafen.
Aber die Bestrafung würde sich in Segen verwandeln, denn in der babylonischen Gefangenschaft würden die Israeliten zum ersten Mal das Gesetz als geschriebenes Wort Gottes für sich entdecken.
Aber das würde wieder daneben gehen, denn nach der Rückkehr ins Land Israel würden die Juden das Gesetz so benutzen wie die Bösen die Keule. Und so wie sie das verheißene Land gegen Gott benutzt haben, so werden sie auch die Bibel gegen Gott benutzen und seinen Sohn kreuzigen, weil er angeblich gegen die Bibel verstößt.
Und so wie Gott beim ersten Mal als das Opfer dastand, das nicht in der Lage war, sein Volk in seinem Land zu beschützen, so würde er auch dieses Mal dastehen als der, mit dessen Sohn oder dessen Propheten man grad machen kann, was man will.
Und das Böse dachte die ganze Zeit, es könne von Gott nicht besiegt werden.
Jeremia denkt wie das Böse
Das Böse denkt, Gott könne es nur durch Maßnahmen besiegen, die auch das Böse benutzt: Gewalt, Brutalität, Rücksichtslosigkeit, sichtbarer Triumph.
Und genau das denkt Jeremia auch.
Und Jeremia versteht nicht, warum die Ungerechtigkeit weitergehen kann und warum Gott ihr nicht wehrt.
Aber auch zu Paulus hat Gott gesagt, dass Gottes Kraft in Schwachheit zur Vollendung komme.
Jeremia versteht nicht, dass er noch mehr Ungerechtigkeiten erleiden muss, weil Gottes Wille eben nicht dadurch geschieht, dass das Böse mit rücksichtsloser Gewalt niedergedrückt wird, sondern dadurch, dass Gott scheinbar verliert.
Oder andersherum: Der Wille Gottes geschieht dadurch, dass Gott das Böse gewinnen lässt, so dass das Böse nicht merkt, wenn es besiegt wird.
1. Korinther 6,7
7Es ist nun schon überhaupt ein Fehler an euch, dass ihr Rechtsstreitigkeiten miteinander habt. Warum lasst ihr euch nicht lieber unrecht tun? Warum lasst ihr euch nicht lieber übervorteilen?
Will sagen: Wenn ich den Rechtsstreit gewonnen habe, über meinen Gegner triumphiert habe, dann hat nicht das Gute gewonnen und nicht die reale Gerechtigkeit.
Schlusswort
Wir müssen wohl zur Kenntnis nehmen, dass göttliches Handeln darin besteht, dass das Gute immer als das Schwächere erscheint.
Und wenn wir selbst richtig handeln wollen – also göttlich und nicht teuflisch – dann gibt der Klügere nach; dann darf der andere Recht haben; dann darf es so aussehen, als wenn die Brutalität gewinnt, weil die Brutalität eben nicht ahnt, dass sie gerade gegen Gott verliert.
Das Gute muss schwach sein, sonst hat man keine freie Wahl.
Wenn das Gute stark und dominant wäre, dann würde man sich für das Gute entscheiden, weil es die äußerlich lohnenswertere Möglichkeit wäre. Man würde sich aber nicht für das Gute entscheiden, weil es das Gute ist.
Sie haben die Wahl zwischen dem Guten und dem, was besser aussieht.
Was wählen Sie?