Esra 5,1 Zukunft ohne Kristallkugel

Die Vorgeschichte

Während die Israeliten in der babylonischen Gefangenschaft waren, wohnten in ihrem Herkunftsland mehr und mehr Menschen aus anderen Völkern.

Die meisten waren genauso dorthin deportiert worden, wie die Israeliten nach Babylon deportiert worden waren.

Eines Tages nun kehrten die ersten Israeliten zurück in ihre Heimat und begannen, in Jerusalem den Tempel wieder aufzubauen.

Und sie bauten ja keine Hundehütte.

Es war offensichtlich, dass das etwas Größeres werden sollte.

Also wollten die Leute mit Migrationshintergrund sich an der Sache beteiligen. Über ihre Motive können wir nur spekulieren, denn die Bibel sagt nichts dazu. Grundsätzlich sind zwei Positionen denkbar:

  • Die Zugereisten hatten im Land Strukturen geschaffen. Sie hatten die Macht untereinander aufgeteilt. Wenn da jetzt ein großes religiöses Zentrum entstand, mitten in ihrem Land, dann war das ein neuer Machtfaktor und ein neuer Wirtschaftsfaktor, und der sollte nicht außerhalb ihrer Kontrolle entstehen. Noch dazu, wo die, die diesen Tempel bauten, von sich behaupteten, eigentlich gehöre das Land ohnehin ihnen, denn ihr Gott habe es ihnen gegeben. Das letzte, was man brauchen konnte, war eine Konkurrenz um Macht und Geld. Also musste man schauen, dass man da einen Fuß in die Tür bekam.
  • Die Zugereisten wollten tatsächlich den Gott des Landes anbeten. Das wäre durchaus eine verständliche Absicht, denn die Menschen gingen damals davon aus, dass Götter regional gebunden sind, also im Grunde die Macht zwischen sich aufgeteilt haben wie Könige. (Auch Cyrus bezeichnet in seinem Schreiben Kapitel 1 Vers 4 Jahwe als „den Gott, der in Jerusalem ist“.) Und wenn man gesegnet sein wollte, dann schien es nützlich, dem angestammten Gott des Landes ebenfalls zu huldigen. Allerdings hatten diese Menschen auch die Religionen ihrer Herkunftsländer mit nach Palästina gebracht. Sie wollten also nicht die Religion wechseln, sondern eine weitere hinzufügen, um ihre eigene Sicherheit zu erhöhen.

Die aus dem Exil zurückkehrten Juden lehnten dieses Ansinnen ab. Die zugereisten Fremdvölker durften sich am Tempelbau nicht beteiligen. (Steht am Anfang von Kapitel 4.)

Der Grund für diese Ablehnung liegt in der Reinheit. Denn Gott hatte nun mal nur Israel berufen und keine anderen Völker. Sicher war im Laufe der Jahrhunderte die eine oder andere Nase zum Volk dazugestoßen, die ursprünglich nicht die Gene Abrahams in sich hatte. Aber das waren immer Einzelfälle gewesen.

Hier wollte jetzt eine ganze Gruppe mitmachen, und sie würden ihre Götter mitbringen. Das Ergebnis wäre dann, dass man neben dem Gott Israels auch noch die Himmelskönigin hätte und Baal und Kemosch und so weiter.

Das war nun ohnehin schon unakzeptabel, aber diejenigen, die aus Babylon zurückgekommen waren, um in Jerusalem den Tempel wieder aufzubauen, waren natürlich die 100%igen. Wer die babylonische Heimat, in der er geboren worden war, verlässt und in den ärmlichen Verhältnissen von Jerusalem ganz von vorne anfängt, der muss ein starkes Motiv haben. Diejenigen, die hier den Tempel bauten, waren folglich überdurchschnittlich fromme und hingegebene.

Die Fremdvölkernahmen den Juden diese Ablehnung sehr übel. Sie setzten Himmel und Hölle in Bewegung, um den Bau des Tempels zu verhindern, und wenn das nicht ging, um ihn zu erschweren. Sie ließen sich das auch ordentlich was kosten, denn sie engagierten Ratgeber, Anwälte, Lobbyisten, und sie legten den Juden Steine in den Weg, wo sie nur konnten.

Das Ergebnis war, dass der Neubau des Tempels zum Erliegen kam. Und zwar 18 Jahre lang. Jerusalem hatte eine Bauruine.

Die Veränderung

Nun war das ja nicht im Sinne Gottes, dass man in Jerusalem nicht baute.

Gott wollte das Gute, er wollte den Tempel.

Er wollte wieder bei seinem Volk leben, auch wenn es, wie wir wissen, relativ vorübergehend war, denn 500 Jahre später erschien schon Jesus auf der Bildfläche.

Und Gott hatte den König Cyrus ja extra in Bewegung gesetzt, damit der den Tempelneubau anstoße.

Die neuen Bewohner von Jerusalem hatten aber keine Motivation mehr. Das war alles zu schwierig, und vielleicht war Gott auch nicht auf ihrer Seite, und die Lebensumstände waren auch ohne so eine Baustelle hart genug.

Wenn Gott jetzt also wollte, dass diese Leute bauten, dann musste sich irgendwas überlegen.

Und das tat er:

Esra 5,1–2 (ELB)

1Und der Prophet Haggai und Sacharja, der Sohn Iddos, die Propheten, weissagten den Juden, die in Juda und in Jerusalem waren, im Namen des Gottes Israels, der über ihnen war.

2Da machten sich Serubbabel, der Sohn Schealtiëls, und Jeschua, der Sohn Jozadaks, auf und fingen an, das Haus Gottes in Jerusalem zu bauen. Mit ihnen waren die Propheten Gottes, die sie unterstützten.

Es war nun nicht so, dass Haggai und Sacharja hier ihre eigene Meinung kundtaten.

Es war nicht so, dass diese beiden Herren meinten, es sei nun mal wieder an der Zeit, die Schaufeln in die Hand zu nehmen.

Es war nicht so, dass hier zwei weise Ratgeber sich den Gang der Zeit anschauten und zu dem Ergebnis kamen, dass die Zeiten für das Bauen günstig waren, weil vielleicht die Gegner des Bauvorhabens gerade mit etwas anderem beschäftigt waren.

Vermutlich hätten auch nicht viele Leute auf die weisen Ratgeber gehört. Warum sollte jetzt gelingen, was vor 18 Jahren gescheitert war?

Wo man doch bewiesen hatte, dass man auch ohne Tempel in Jerusalem leben konnte, 18 Jahre lang.

Und vielleicht war damals die Entscheidung, die Fremdvölker nicht mitmachen zu lassen, falsch gewesen? Vielleicht hätte man nicht so kleinlich und so unfreundlich sein sollen?

Nein, auf die Meinung von Haggai und Sacharja hätte vermutlich niemand gehört.

Haggais andere Meinung

Es hätte genauso sein können, dass Haggai und Sacharja genau gegenteiliger Meinung gewesen wären. Da sie die Bewohner Jerusalems kannten, waren sie jetzt der Meinung, dass die das auch dieses Mal nicht zuende bringen würden.

Dass die auch dieses Mal vor den Widerständen kapitulieren würden.

Waren halt Schwächlinge, die Rückkehrer.

Aber die Meinung von Haggai und Sacharja war egal.

Auf Gottes Meinung kam es hier an, und Gott wollte den Israeliten mehr sagen, als Haggai und Sacharja ihnen aus ihrer eigenen Beurteilung jemals sagen konnten.

Gott wollte nämlich ganz nebenbei auch mitteilen, dass er das Versagen vom ersten Anlauf vergeben hatte.

Obwohl es natürlich eigentlich schon beim ersten Anlauf hätte gelingen müssen.

Gott setzt nicht den König Cyrus in Bewegung, dass er den Israeliten tausende von goldenen Tempelgeräten mitgibt, wenn die Sache von vornherein hoffnungslos ist.

Sondern Gott hatte selbstverständlich geplant, dass der Tempel beim ersten Anlauf fertig wird.

Gottes Meinung

Am Anfang von Kapitel 5 erfahren wir eigentlich nicht, was die Propheten den Bewohnern von Jerusalem gesagt haben. Ein paar wenige Rückschlüsse kann man aus dem Handeln der Verantwortlichen ziehen. Sie fingen wieder an zu bauen. Also wird die Weissagung der Propheten wohl etwas damit zu tun gehabt haben.

Was die Propheten noch wichtiges gesagt haben, sehen wir in Esra 6,14 (ELB)

14So bauten die Ältesten der Juden, und sie kamen gut voran gemäß der Weissagung Haggais, des Propheten, und Sacharjas, des Sohnes Iddos. Und sie bauten und vollendeten es nach dem Befehl des Gottes Israels und nach dem Befehl des Kyrus und Darius und Artahsasta, des Königs von Persien.

Kurz gesagt: Die Propheten hatten den Juden angesagt, dass es diesmal klappen würde.

Dass sie den Tempel fertig bekommen würden.

Motivationstrainer

Nun gibt es natürlich Motivationstrainer, die sagen: „Du schaffst das, jaaaa! Du schaffst das!“ Und wenn man es am Ende doch nicht schafft, dann haben die weder gelogen noch sich geirrt, denn sie haben die Aussage nicht aufgrund von Tatsachen getroffen, sondern auf Hoffnung hin.

Die Trainer haben nicht in die Kristallkugel geschaut und es deshalb gewusst. Sondern sie haben auf eine sich selbst erfüllende Prophezeiung gehofft.

Haggai und Sacharja haben es gewusst.

Denn Gott hatte es ihnen gesagt.

Das ist der Unterschied zwischen Vollmacht und Meinung, zwischen Wahrheit und Hoffnung.

Darum haben die Juden auch so engagiert angefangen zu bauen. In Kapitel 5,8 schreibt auch der persische Statthalter, dass die Bauarbeiten mit Eifer betrieben werden und gut voran kommen.

Die Juden haben nicht mit soviel Schwung gebaut, weil da ein paar Leute waren, die sie mitreißen konnten. Wegen irgendwelcher Begeisterung waren sie schon damals aus Babylon weggezogen, und obwohl Gott ganz offensichtlich hinter der Sache stand, hatte es nicht geklappt.

Mit Begeisterung konnte man diese Leute nicht mehr bewegen. Die waren viel zu desillusioniert.

Aber mit Wahrheit, da ging es.

Tatsachen. Fakten. Da kann man schlecht gegen argumentieren.

Und weil es so funktionieren würde, darum hatte Gott den Juden Leute mit Vollmacht geschickt, welche die Zukunft vorhersagen konnten.

Weil Gott diese Zukunft versprochen hatte. Zumindest mal Haggai und Sacharja. Und die haben es dann weiter gesagt.

Wenn Gott eine Vollmacht erteilt, das ist schon eine tolle Sache.