2.Könige 18,19 die Frage aller Fragen
Man erlebt das ja immer wieder, dass Menschen sich auf eine langjährige Erfahrung in einem Bereich berufen und dann sagen: „Aber so etwas ist mir in all den Jahren noch nicht vorgekommen.“
Genauso geht es hier dem Rabschake.
Die assyrische Armee hatte alles besiegt, was es nördlich, westlich und östlich von Jerusalem zu besiegen gab. Die Armee war sogar schon in der Küstenebene an Jerusalem vorbeigezogen, Richtung Ägypten, und der Rabschake kam nun auch von dort, um zu versuchen, Jerusalem möglichst kampflos übernehmen zu können und damit seine Armee zu schonen.
Von Juda war nichts mehr übrig als Jerusalem und ein paar Dörfer drumrum. König Hiskia regierte nur noch über einen Rumpfstaat, was der Rabschake damit zum Ausdruck brachte, dass er Hiskia anbot, ihm 2000 Pferde zur Verfügung zu stellen, wenn Hiskia die 2000 bewaffneten Reiter dafür aufbringen könnte. Hiskia verfügte aber nicht mehr über 2000 Reiter.
Sehen Sie, wenn Sie keine 2000 Reiter mehr haben für geschenkte Pferde, dann sind Sie als König wohl wirklich am Ende.
Insofern ist die Frage des Rabschake verständlich: 2. Könige 18,19
19Und der Rabschake sagte zu ihnen: Sagt doch zu Hiskia: So spricht der große König, der König von Assur: Was ist das für ein Vertrauen, mit dem du vertraust?
Und sollte Hiskia auf Unterstützung aus Ägypten vertraut haben, so war mittlerweile wohl klar, dass da nichts kommen würde. Noch dazu, wo die Ägypter sich ihre Hilfe sicher ordentlich bezahlen lassen würden und man in diesem Fall unter die Knute der Ägypter geraten würde, was nun auch nicht die Idealvorstellungen eines Politikers ist.
Der Rabschake schätzte die militärische Lage also sachgemäß ein, wenn er den Bewohnern von Jerusalem entweder die Kapitulation mit anschließender Verschleppung in weit entfernte Gegenden oder die Eroberung der Stadt mit dem zu erwartenden Tod der Einwohner als alleinige Optionen anbot. Pest oder Cholera; Deportation oder gewaltsamer Tod.
Der Gottesdienst
Ein großes Problem im Reich Gottes sind diejenigen Personen, die „Gott dienen“.
Und die darunter verstehen, dass sie gehorsam sind.
Dass sie nicht lügen, niemanden töten, pünktlich ihre Opfer bringen oder ihre Kollekte zahlen, zum Gottesdienst erscheinen, nichts kriminelles tun und gelegentlich sogar etwas tun, was unter den Begriff „Nächstenliebe“ fällt.
Diese Leute halten sich für moralisch unantastbar, denn sie haben ja nicht Falsches gemacht. Im Gegenteil: Sie haben einiges (oder vieles) getan, was in der Bibel als „richtig“ bewertet wird.
Falls Sie gemerkt haben, dass dieses eine Beschreibung der Pharisäer zur Zeit Jesu war, haben Sie recht. Leider zieht sich dieses Verständnis von „Gottesdienst“ durch alle Jahrtausende, und Gott hat sich immer wieder sehr negativ darüber geäußert.
Was der Erwartung der Täter in keinster Weise entsprach. Denn die Gläubigen sagten sich: „Ich habe nichts falsches gemacht, und ich habe sogar vieles vom Richtigen gemacht, also muss Gott mich doch segnen.“ Statt dessen ist aber das Beste, was Gott an ihnen macht, dass er sie ignoriert.
Königliches Verständnis
Hiskia sah seinen Gottesdienst darin, dass er Gott Ziele verfolgte.
Es ging Hiskia nicht in erster Linie um Gehorsam oder um die Bibel, sondern es ging ihm um Gott. Es ging Hiskia nicht um Hiskia, es ging ihm nicht um seinen Job als König, es ging ihm nicht erstrangig um sein eigenes Wohlergehen.
Solche Dinge spielen immer mit – das eigene Wohlergehen ist einem Menschen nicht egal.
Aber die ersten Jahre von Hiskias Regierung waren davon geprägt, dass er die zahllosen Altäre in allen Ecken des Landes verbieten und zerstören ließ. Was den Rabschake zu der Äußerung veranlasste 2.Kön 18,22
22 Wenn ihr aber zu mir sagt: Auf den HERRN, unseren Gott, vertrauen wir! — ist er es nicht, dessen Höhen und Altäre Hiskia beseitigt hat, als er zu Juda und zu Jerusalem sagte: Vor diesem Altar in Jerusalem sollt ihr euch niederwerfen? —
Diese Maßnahme des Königs ist einzig damit zu begründen, dass er den Willen Gottes durchsetzen wollte. Es ist nicht anzunehmen, dass Hiskia die Einnahmen der Priester erhöhen wollte, indem nun alle Opfer zentral gebracht werden mussten.
Auch in seiner Bitte an den Propheten Jesaja stellt Hiskias Gottes Interesse an die erste Stelle: 2.Kön 19,4
4 Vielleicht hört der HERR, dein Gott, alle Worte des Rabschake, den sein Herr, der König von Assur, gesandt hat, um den lebendigen Gott zu verhöhnen, und bestraft <ihn> wegen der Worte, die der HERR, dein Gott, gehört hat. Erhebe doch ein Gebet für den Rest, der sich <noch> findet!
Auch, als Hiskia dann selber mit Gott redet, sagt er nicht, Gott möge auf das hören, was Sanherib über die Einwohner von Jerusalem gesagt hat, sondern was er über Gott gesagt hat: 2.Kön 19,16
16 Neige, HERR, dein Ohr und höre! Tu, HERR, deine Augen auf und sieh! Ja, höre die Worte Sanheribs, die er gesandt hat, um den lebendigen Gott zu verhöhnen.
Und natürlich will Hiskia am Ende auch selbst gerettet werden. Aber er ist klug genug, dass er versteht, dass auch Gott Interessen bei der ganzen Sache hat: 2.Kön 19,19
19 Und nun, HERR, unser Gott, rette uns doch aus seiner Hand, damit alle Königreiche der Erde erkennen, dass du, HERR, allein Gott bist!
Der Wille Gottes
Hiskia ging davon aus, das es einen aktiven Willen Gottes gibt.
Unter den Gläubigen ist meistens nur der passive Wille Gottes bekannt:
- Gott will, dass ich dieses oder jenes nicht esse.
- Gott will, dass ich nicht lüge.
- Gott will, dass ich in den Gottesdienst gehe.
Das ist ein Wille Gottes, der eine bestimmte Handlung von mir verlangt. Gott selber ist in diesem Szenario völlig passiv. Er könnte einfach nur eine Gasblase sein, die Vorschriften macht. (Ein ähnliches Gottesbild haben wir im Islam.)
Wenn aber der Mensch nach dem Bilde Gottes konzipiert ist, und wenn Elon Musk Elektroautos und Raketen baut und Herr Putin einen Krieg gegen die Ukraine plant und verschiedene Nationen planen, zum Mond zu fliegen, dann müsste folglich auch Gott jemand sein, der solche Pläne nicht nur plant, sondern zudem geeignete Handlungen unternimmt, um seinen Zielen näher zu kommen und seine Pläne Wahrheit werden zu lassen.
Dann wäre der Wille Gottes aber etwas, was nicht primär ich machen muss (die Wahrheit sagen, in den Gottesdienst gehen, meinen Nächsten lieben), sondern der Wille Gottes ist etwas, was Gott aktiv will. Wo Gott Gestaltungswillen reinlegt. Wo Gott einen Plan und ein Ziel hat und einen gewissen Druck dahinter setzt, um den Plan umzusetzen und das Ziel zu erreichen.
Das Bild des Einen
Letztlich geht es um ein Gottesbild.
Oder eben um das Wesen des Gottes, dem ich diene.
Dabei geht es seit Jahrtausenden um den Unterschied zwischen dem funktionierenden Gott und dem lebendigen Gott.
Natürlich „lebt“ der funktionierende Gott auch irgendwie. Aber er lebt nur, um eine Funktion zu erfüllen: Die Ernte zu segnen, die Sünden zu vergeben, dem Unheil zu wehren, die Bösen zu bestrafen. Er wird eher verstanden wie ein Automat. Das Alte Testament ist voll von Geschichten, wo Gott seine Gerichtsworte über die Menschen spricht, weil sie nur als Funktionsträger wahrgenommen haben, aber nicht als lebendige Person.
Und weil sie ihn eben auch als Funktionsträger behandelt haben: Ich werfe oben meine Kollekte, meinen Gottesdienstbesuch und meine Nächstenliebe rein, und dann sollten unten Lob und Segen rauskommen.
Hiskia macht das hier anders. Er hat erkannt, dass Gott einen Prozess am Laufen hat, einen Vorgang. Im Grunde fing dieser Prozess mit der Erschaffung der Welt an, aber man könnte ihn auch in kleinere Teile einteilen und sagen, der aktuelle Prozess begann mit der Befreiung Israels aus Ägyptens oder mit der Berufung von David zum König oder mit meiner Berufung in Gottes Dienst.
Hiskia hat erkannt, dass er Teil eines solchen Prozesses ist.
Dass er also mit Gott zusammen an etwas arbeiten soll.
Und dass diese göttlichen Prozesse in den allermeisten Fällen nur funktionieren, wenn die Menschen mitmachen.
Worauf Hiskia vertraute
Hiskia vertraute darauf, dass Gott letztlich immer gewinnen will.
Und dass er diejenigen, die ihm beim Gewinnen helfen, ebenfalls zu Gewinnern macht.
Hiskia vertraute darauf, dass Gott denen hilft, die ihm helfen.
Das sind andere als die, die mit dem Kopf nicken, wenn Gott etwas sagt.
Das sind andere als die, die gehorsam sind und sich nichts zu schulden kommen lassen.
Es sind diejenigen, die sich vor Gottes Karren spannen lassen und mitziehen.
Es sind die, die mit Gott zusammenarbeiten, und zwar, um Gottes Ziele zu erreichen.
Und darauf vertraute Hiskia: Dass Gott solche Leute, die ihn als lebendigen Gott ehren und nicht als Funktionsträger, dass Gott diese Leute ebenfalls ehrt.
Der Rabschake wusste nicht, dass es so einen Gott überhaupt gibt.
Und darum konnte er nicht verstehen, worauf Hiskia in so einer aussichtslosen Lage vertraute.
Aber tatsächlich: Der assyrische König hat niemals einen einzigen Pfeil über die Stadtmauer von Jerusalem geschossen, sondern er hat sich verkrümelt und ist nie wieder gekommen.
Hiskias Vertrauen hat Recht behalten.