2.Könige 17,24-28 Problemlöwen
Man hatte ja schon länger den Eindruck, als wenn die Sache Gott völlig entglitten sei.
Seit Salomo hatte es im Nordreich Israel nur gottlose Könige gegeben, einer schlimmer als der andere. Und Gott hatte nichts dagegen unternommen.
Sicher, er hatte den einen oder anderen Propheten geschickt. Elia, Elisa, Amos und Hosea sowie einige, die keine Schriftpropheten waren.
Aber genützt hat es ja nichts. Die gottlosen Könige und ihre kein bisschen besseren Untertanen haben weiter gemacht, was sie wollten.
Nicht zu vergessen diese Stiergötter in Bethel und Dan. Ein Affront gegenüber Gott. Und Gott hatte nicht den Blitz in diese Götzenbilder fahren lassen.
Und nun waren im Jahr 722 v.Chr. die Assyrer ins Nordreich eingefallen und hatten mindestens die Hälfte der Bevölkerung deportiert. Irgendwohin. Man hat die Leute später nicht mehr gefunden.
Damit waren von den 12 Stämmen Israels 10 den heidnischen Assyrern zum Opfer gefallen. Das ist die Mehrheit des Volkes Gottes. Und mit denen hatte Gott einen Bund! Zuerst seit Abraham, dann seit Mose!
Wenn der Großteil des Gottesvolkes von irgendwelchen Dahergelaufenen ohne Probleme mitgenommen werden kann, dann spricht das irgendwie nicht für Gott. Da muss man sich schon ein paar Fragen stellen.
Die neuen Leute
Und damit ist die Liste der Fragwürdigkeiten noch nicht zu Ende.
Denn der assyrische König hat nicht nur die Bewohner des gelobten Landes deportiert, was ohnehin schon seltsam ist, sondern er hat ersatzweise neue Leute von irgendwo ganz weit weg im gelobten Land angesiedelt. Zwangsweise. Die haben nicht freiwillig ihre Heimat verlassen.
Die Israeliten hatten damals die Kanaaniter vertreiben sollen, und jetzt kamen genau solche Typen wieder! 2.Kö 17,24
24 Und der König von Assur brachte Leute aus Babel und aus Kuta und aus Awa und aus Hamat und aus Sefarwajim und ließ sie anstelle der Söhne Israel in den Städten Samarias wohnen. Und sie nahmen Samaria in Besitz und wohnten in seinen Städten.
An dieser Stelle geschieht dann der Fehler, dass die Christen die Königsbücher als Geschichtsbücher lesen. Man geht also davon aus, dass der Autor so etwas wie ein Historiker war und die Dinge aufgeschrieben hat, damit nachfolgende Generationen wissen, welche historischen Vorgänge zu den späteren politischen Entwicklungen geführt haben.
Folglich lesen die Gläubigen diesen Abschnitt und sagen: „Ach, jetzt wissen wir, wie das Volk der Samariter entstanden ist. Nämlich aus der Mischung aus den dagebliebenen Israeliten und den dorthin deportierten Fremdvölkern.“
Nun stimmt das zwar, aber der Autor wollte kein historisches Buch schreiben, sondern ein prophetisches. Der Autor war nämlich kein Historiker, sondern ein Prophet.
Er wollte nicht etwas schreiben, was nur Leute angeht, die sich für historische Zusammenhänge interessieren. Sondern er wollte etwas schreiben, das für alle Gläubigen zu allen Zeiten den Willen Gottes deutlich macht.
Der Autor wollte nicht beschreiben, wie das Volk der Samariter entstanden war, sondern er wollte beschreiben, dass die Vorgänge Gott keineswegs entglitten waren.
Warum Sie das wissen sollten
Das ist erstens ganz allgemein wichtig, weil es im Leben der Gläubigen immer mal wieder so aussieht, als ob Gott weggegangen ist.
Oder als ob Gott nicht hinschaut.
Als ob es Gott nicht kümmert.
Als ob Gott seiner Linie nicht treu ist.
Als ob Gott seine Meinung geändert hat, oder als ob Gott seine Meinung einfach nicht durchsetzen kann.
Und für solche Zeiten beschreibt der Autor hier, dass keine dieser Annahmen stimmt.
Gott ist immer noch da, Gott kümmert sich immer noch um seine Angelegenheiten, und Gott steht immer noch treu zu dem, was er irgendwann mal gesagt hat.
Zweitens war dieser Bericht wichtig, weil die Königsbücher zuerst in der babylonischen Gefangenschaft gelesen wurden. Da war der Tempel zerstört, der König getötet, das Volk im Exil, Jerusalem in Trümmern und das heilige Land eine babylonische Provinz. Auch da sah es so aus, als wenn irgendwas furchtbar daneben gegangen war.
Aber nein, sagt der Autor mit seinem Bericht, es ist zwar gerade nicht schön, aber auch bei der letzten wirklich großen Katastrophe hat Gott sehr genau darauf geschaut, was da gerade läuft.
Jetzt kommen die Löwen
Und das war so:
25 Und es geschah, als sie anfingen, dort zu wohnen, fürchteten sie den HERRN nicht. Da sandte der HERR Löwen unter sie, die unter ihnen mordeten.
Wir reden hier nicht von zwei oder drei Löwen oder, auf bayerisch, von einem Problembär.
Wir reden hier von hunderten von Löwen.
Es war offensichtlich so schlimm, dass man die Kinder nicht mehr vor die Tür lassen konnte und hinter jeder Ecke ein Rudel Löwen sein konnte.
Nun gibt es in der theologischen Literatur jede Menge Spekulationen und scheinbare Erklärungen, warum die Löwen sich so explosionsartig vermehrt haben. Löwen gab es in Palästina schon immer, auch Simson hatte mit einem zu tun (Richter 14), und David sagte zu Saul, er könne den Goliath erschlagen, weil er auch schon Löwen und Bären besiegt habe.
Aber die Frage nach dem biologischen Grund für die Löwenvermehrung ist natürlich Käse. Vielleicht gab es so einen Grund, vielleicht auch nicht. Was der Autor hier sagt, ist: Gott hat die Löwen geschickt, weil da jetzt Leute im gelobten Land sitzen, die Gott da nicht hingesetzt hat und die Gott noch nicht einmal als solchen anerkennen.
Es ist Gottes Land, und dann kommt der König von Assyrien und siedelt da irgendwelche Leute an.
Es ist ja eines, dass Gott dem König von Assyrien erlaubt hat, die 10 israelitischen Stämme zu deportieren, weil die mit Gott und seinem Land nicht umgehen konnten. Aber dass der assyrische König dann irgendwelche dahergelaufenen in Gottes Land ansiedelt, die das Land noch unreiner machten als es vorher war, das war dann ja nicht so gedacht.
Darum also die Löwen, und die Plage mit den Löwen war so schlimm, dass der assyrische König, der ja tausend Kilometer entfernt wohnte, davon Kenntnis bekam und einsah, dass er an dieser Stelle unbedingt etwas unternehmen musste.
26 Und man sagte zum König von Assur: Die Nationen, die du weggeführt und in den Städten Samarias hast wohnen lassen, kennen nicht die Verehrung, die dem Gott des Landes gebührt. So hat er Löwen unter sie gesandt, und siehe, die töten sie, weil sie die Verehrung des Gottes des Landes nicht kennen.
27 Da befahl der König von Assur: Lasst einen der Priester, die ihr von dort gefangen weggeführt habt, dorthin zurückgehen, dass er hingeht und dort wohnt! Und er lehre sie die Verehrung des Gottes des Landes!
28 Da kam einer der Priester, die man aus Samaria gefangen weggeführt hatte, und wohnte in Bethel und lehrte sie, wie sie den HERRN fürchten sollten.
In gewisser Hinsicht hatte man damit natürlich den Bock zum Gärtner gemacht, denn der Priester, der jetzt da aus der Verbannung zurückkam, war natürlich ein Stierpriester. Also einer, der an den Heiligtümern in Dan und Bethel gedient hatte und wegen denen Gott ja das ganze Unglück über das Land gebracht hatte.
Der Mangel an reiner Lehre
Es war also nicht zu erwarten, dass dieser Priester den Zugereisten die reine Lehre brachte.
Man kann davon ausgehen, dass der Priester eine ziemlich entartete Form des Gesetzes verkündete, und wenn man bedenkt, dass 100 Jahre später selbst in Juda das schriftliche Gesetz nicht mehr bekannt war, dann hat dieser Priester vermutlich auch nicht viel Ahnung gehabt, was im Gesetz ursprünglich drinstand.
Aber darauf kam es hier nicht an.
Die Zugereisten sollten Gott ja nicht lieben. So wie man es vielleicht von den Israeliten erwartet hätte.
Die Zugereisten stammten nicht von Abraham ab, sie waren also gar nicht Zielgruppe des Gesetzes. Es wurde gar nicht erwartet, dass sie den Sabbat hielten oder beschnitten wurden.
Aber die Zugereisten sollten zumindest anerkennen, dass sie hier nicht die Chefs waren, und ihre mitgebrachten Götter auch nicht.
Und ganz nebenbei: Der König von Assyrien sollte ebenfalls erkennen, dass er nicht der Chef war.
Aber noch viel mehr: Die Gläubigen sollten erkennen, dass Gott keineswegs weggegangen war, und dass hier nichts schiefgelaufen war.
Denn Gott mischte sich ein.
Er zeigte dem König von Assyrien die Grenzen auf.
Er zwang den König von Assyrien zum Handeln. Wer sonst konnte von sich sagen, dass er den König von Assyrien unter Druck setzen konnte?
Und es war ja nun nicht so, dass der König von Assyrien die Leute, die er zwangsweise nach Palästina deportiert hatte, ungeheuer liebte. Wenn der König diesen Leuten etwas Gutes hätte tun wollen, hätte er sie nicht nach Palästina verschleppt.
Wenn der assyrische König sich für diese Leute, die ihn eigentlich nicht interessieren, so einsetzt, dann muss der Druck auf den König schon beachtlich gewesen sein.
Die eigentliche Zielgruppe
Und eigentlich waren die Zugereisten gar nicht die Zielgruppe dieser ganzen Aktion mit den Löwen. Diese Leute würden nicht viel von Gott verstehen, und sie gehörten ja im Grunde genommen auch nicht ins gelobte Land.
Zielgruppe der Aktion waren die Judäer in der Gegend um Jerusalem, welche sehen mussten, wie ein Großteil des Gottesvolkes auf Nimmerwiedersehen verschwand und die nicht verstanden, warum das geschah. Sie haben es so wenig kapiert, dass ihnen 150 Jahre später das gleiche passierte und sie in der babylonischen Gefangenschaft landeten.
Die Judäer dachten, dass Gott irgendwie zu schwach sei oder zu uninteressiert, also auf jeden Fall kann Gott doch da nicht die Finger drin haben! Der kann doch nicht absichtlich zusehen, wie solche Dinge passieren! In und mit seinem Reich!
Aber wenn Gott jetzt die Löwen schickte und der assyrische König sich Gott beugte, dann hatte Gott offenbar die ganze Zeit mit Absicht gehandelt. Wenn hier zufällig etwas passiert wäre, und Gott hätte es verpennt, dann musste man sich keine Sorgen machen wegen Sünde oder wegen des Willens Gottes.
Aber wenn Gott die ganze Zeit hellwach gewesen war, dann wäre es möglicherweise an der Zeit, sich ein paar Gedanken über den Willen Gottes zu machen.
Die noch eigentlichere Zielgruppe
Gott hat die ganze Geschichte in seinem Wort, also in der Bibel aufschreiben lassen, weil die noch eigentlichere Zielgruppe dieser Aktion mit den Löwen wir sind.
Wenn wir den Eindruck haben, es liefe grad völlig schief und das, was gerade passiert, könne doch unmöglich der Wille Gottes sein oder das kann Gott doch nicht zulassen und wahrscheinlich ist Gott weggegangen oder eingeschlafen oder mit interessanteren Dingen beschäftigt -
- dann macht Gott die Dinge vielleicht nicht wieder rückgängig. Was wir natürlich am liebsten hätten. Dass er alle Deportierten wieder nach Hause kehren lässt.
Nein, wenn Gott sich für eine gerichtliche Verurteilung entscheidet, dann macht er diese Entscheidung nicht wieder rückgängig.
Aber Gott meldet sich.
Gott beseitigt den Zweifel, dass er vielleicht nicht mehr da sei oder dass er sich nicht mehr um das Reich Gottes kümmere. Damit die Gläubigen sehen: Gott schaut darauf, dass die Sache nicht noch sündiger wird, als sie ohnehin schon war.
Die Sicht des Gläubigen
Der Gläubige schaut natürlich zuerst auf die Menschen. Auf die Deportierten, die ja doch irgendwie Verwandte waren.
Auf sich selbst: Denn wenn Gott mit den Nordlichtern so umgeht, wer garantiert mir, dass er das mit mir nicht auch macht?
Und auf die Zugereisten, denen Gottes Land doch überhaupt nicht zusteht und denen Gott selbst auch nicht zusteht. Diese Leute sind in jeder Hinsicht unrein und unwürdig und bekommen jetzt religiöse Unterweisung zum richtigen Umgang mit Israels Gott.
Gott blickt aber zuerst auf Gott. Nicht auf die Menschen.
Gottes primäres Interesse ist sein Reich, durchaus verstanden als Alternative zum Reich des Teufels.
Gott schaut nicht zuerst auf das subjektive Schicksal der Menschen, denn wenn es den Menschen gut geht und dem Teufel auch, dann gewinnt Gott überhaupt nichts.
Die Menschen denken aber: Es geht mir schlecht, da ist doch was faul. Sonst würde es mir ja nicht äußerlich und subjektiv schlecht gehen.
Und darum schickt Gott manchmal Löwen.
Vielleicht gar nicht zu mir, sondern zu irgendwem anders.
Damit ich sehen kann: Gott ist noch da, der interessiert sich noch, der zeigt noch Initiative.
Die Mitte der Welt steht fest, die Fundamente des Universums sind nach wie vor völlig in Ordnung, Gott sitzt fest im Sattel, und wenn ich denke, es laufe gerade völlig schief, dann ist das mein Denkfehler.
Aber die Wahrheit ist das nicht.
Die Wahrheit ist: Wo Gott ist, da läuft nichts schief.